Trio Orelon
Judith Stapf Violine
Arnau Rovira i Bascompte Violoncello
Marco Sanna Klavier
Nina Kazourian Gesang, Klavier, Gitarre
28.8.– 27.9. 2025
Trio Orelon
Judith Stapf Violine
Arnau Rovira i Bascompte Violoncello
Marco Sanna Klavier
Nina Kazourian Gesang, Klavier, Gitarre
Opening Act mit Nina Kazourian
Lili Boulanger (1893–1918)
»Deux pièces en trio«
I. »D’un matin de printemps« (Von einem Frühlingsmorgen)
II. »D’un soir triste« (Von einem traurigen Abend)
Anton Arensky (1861–1906)
Klaviertrio Nr. 1 d-Moll op. 32
I. Allegro moderato
II. Scherzo. Allegro molto
III. Elegia. Adagio.
IV. Finale. Allegro non troppo
Pause
Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 36, Fassung für Klaviertrio vom Komponisten
I. Adagio molto – Allegro con brio
II. Larghetto
III. Scherzo. Allegro – Trio
IV. Allegro molto
Die Musik von Lili Boulanger ist von berührender, sonorer Schönheit. Zwei ihrer letzten Werke erzählen vom Frühlingsmorgen und von einem traurigen Abend – mit getupften Klängen, Naturbildern, Trost und stiller Klage. Als Kontrast dazu stürzt uns Anton Arensky mit seinem d-Moll-Klaviertrio in ein Wechselbad der Gefühle: leidenschaftlich, pathetisch – und überraschend humorvoll.
Französischer Feinsinn und russische Emphase treffen auf den experimentellen Beethoven, der seine zweite Sinfonie selbst für Klaviertrio arrangierte. Die »Unplugged«-Version eines Orchesterwerks: überraschend transparent, kammermusikalisch verdichtet – und als Hörerlebnis noch direkter. Drei Trio-Variationen über existenzielle Musik. Zwischen feiner Empfindung, Aufgewühltheit und revolutionärer Energie.
Im direkten Anschluss an den Ersten Weltkrieg grassierte 1918 die »Spanische Grippe« in Europa. Nach dem Kriegsschrecken sehnten sich die Menschen nach Ruhe und Sicherheit, doch die Influenza-Pandemie raffte, je nach Schätzung, unfassbare 20 bis 100 Millionen Menschen dahin.
Die »Spanische Grippe« war allerdings nicht die Ursache für den frühen Tod von Lili Boulanger. Während ihre ältere Schwester Nadia zu einer der wichtigsten Kompositionslehrer:innen des 20. Jahrhunderts avancierte und erst 1979 mit 92 Jahren hochbetagt starb, war Lili leider nur ein kurzes Leben vergönnt. Vorausgegangen waren eine ganze Reihe von Erkrankungen, darunter eine früh diagnostizierte Bronchialpneumonie sowie Morbus Crohn. Boulanger starb am 15. März 1918 in dem kleinen Ort Mezy-sur-Seine, etwa 35 Kilometer nordwestlich von Paris gelegen, im Alter von 24 Jahren an Tuberkulose.
Lili Boulanger wurde als »Wunderkind« gefeiert. Trotz ihres frühen Todes entstanden erstaunlich viele Werke, vor allem solche für diverse Vokalmusik-Besetzungen: Gesang und Klavier, Chor und Klavier, Chor und Orchester und mehr. Boulanger – in der Vorahnung ihres baldigen Ablebens – komponierte gewissermaßen Tag für Tag gegen den Tod an.
Die »Deux pièces en trio« (Zwei Stücke für Trio) entstanden 1917 und 1918. Damit gehört das zweisätzige Trio zu ihren allerletzten Werken. Mit fast lustigen, leicht ›schrägen‹ Akkorden bereitet das Klavier in »D’un matin de printemps« (»Von einem Frühlingsmorgen«) alleine den ersten Einsatz der Geige vor. Diese hebt sich mit etwas längeren, leicht klagenden Tönen vom Klavier ab. Die Last und die Kälte eines überwundenen Winters müssen zunächst noch abgeschüttelt werden. Das Klavier aber lässt nicht los – und führt im Zusammenspiel mit der Violine einen ersten, ›jauchzenden‹ Höhepunkt herbei. Dann spielt das Cello in seiner Lage das nachdenklich wie heitere Thema; als würde ein Kuckuck traurig singen. Man erinnert sich vielleicht an die Violinsonate von Claude Debussy, ebenfalls 1917 komponiert – und gleichfalls so etwas wie ein ›Schwanengesang‹ von Boulangers französischem Kollegen.
Zu Beginn des zweiten Stückes, das von einem traurigen Abend (»D’un soir triste«) erzählt, beginnt das Klavier erneut alleine. Wir hören ungewöhnliche Akkorde, die trotz der titelgebenden Abendstimmung fast merkwürdig leuchten. Dieses Mal ist das Cello nach wenigen Augenblicken mit dabei. Ein trauriger, völlig in sich versunkener Gesang. Ein starker Gegensatz zu dem ersten Stück vom Frühlingsmorgen: gemischte Gefühle also. Musikwissenschaftler Damien Sagrillo notierte über Boulanger: »Ihre Werke vermitteln im Titel eine eher pessimistische Grundstimmung.« Und, ebenso zu hören in den Kompositionen dieses Konzerts: »Boulangers Tonsprache pendelt zwischen traditionell und avantgardistisch.«
Anton Arensky, geboren im Sommer 1861 in Nowgorod, stammt aus einer wohlhabenden Familie, in der Musik auf der Tagesordnung stand. Er besuchte zunächst eine Musikschule in Sankt Petersburg und wechselte 1879 für ein Kompositionsstudium bei Nikolai Rimski-Korsakow an das dortige Konservatorium. Der galt als bedeutendster Kompositionslehrer des 19. Jahrhunderts und unterrichtete neben Arensky Berühmtheiten wie Igor Strawinsky, Sergei Prokofjew und Alexander Glasunow.
Musikwissenschaftler David Fanning bezeugt jedoch, dass Rimski-Korsakows Stil wenig Einfluss auf seinen Schüler Arensky hatte – und fasst dessen ebenfalls tragisch kurzes Leben kompakt zusammen:
»Obwohl er ein Schüler von Rimski-Korsakow war, geriet Arensky in den Bann Tschaikowskys – sehr zum Ärger seines früheren Lehrers, der schließlich prophezeite, er werde bald in Vergessenheit geraten. Das frühe Leben Arenskys beschrieb Rimski-Korsakow in seinen Memoiren als ›zügellos, zwischen Wein und Kartenspiel zerrinnend‹ und bemerkte, er habe diese Lebensart auch beibehalten, als er 1894 in St. Petersburg Nachfolger von Mili Balakirew als Leiter der Kaiserlichen Kapelle wurde. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend. Im Alter von 44 Jahren starb Arensky an Tuberkulose.«
Neben drei Opern komponierte Arensky außerdem zwei Sinfonien, ein Klavier- und ein Violinkonzert, Lieder, Chöre, zwei Streichquartette und zwei Klaviertrios. Das erste Trio entstand 1894. Ein urromantisches Stück, das vom Klavier vollmundig zu stolzem Leben erweckt wird (Allegro molto): gebrochene Akkorde, aufgeregte innere Bewegung. Es folgt ein heroisch-leidenschaftliches Hauptthema, gespielt von der Violine. Beim dritten Anheben schraubt sich die Geige schon ein wenig höher als noch zuvor. Und – originell! – Arensky folgt nicht einem ›Standard-Plan‹, wenn nun das Cello mit seiner ersten Ausführung des Hauptthemas dran ist. Nein, die Geige grätscht dem Cello in die Parade, noch bevor dieses überhaupt seinen ersten ›Satz‹ mit Punkt und Komma fertig formuliert hat. Wir spüren die Emphase, das amouröse Brennen dieser Musik.
Mit dem ›Liebesdrama‹ des ersten Satzes endet das Ganze natürlich nicht. Im zweiten Satz (Scherzo. Allegro molto) beweist Arensky Humor – er lässt die Violine kichern: Der Bogen wird schnell auf die Saiten fallengelassen, so dass ein Klangeffekt aus kurzen Tönen entsteht. Das Cello zupft eine gemächliche Linie nach oben und das Klavier prescht gleich im vierten Takt in überraschender Lautstärke nach unten. Originell und abwechslungsreich!
Im dritten Satz (Elegia. Adagio) darf nun endlich einmal das Cello anfangen. Gespielt werden soll es mit einem Dämpfer, welcher auf den Steg gesteckt wird. Dadurch wird der Klang weicher, säuselnder, und wirkt wie aus weiter Ferne herübergetragen. Das Klavier unterstützt den Trauermarsch-Charakter mit tiefen Akkorden. Im Mittelteil dagegen leuchtet alles wunderschön; ›wie früher‹, als erinnere sich jemand inmitten der Misere im Hier und Jetzt an amouröse Jugendzeiten, während sich der ›Titelheld‹ im letzten Satz (Finale. Allegro non troppo) anfänglich wieder ganz seinen kämpferischen Ambitionen hingibt. Dabei bleibt es nicht: Arenskys erstes Klaviertrio ist ein Werk der großen emotionalen Kontraste, ein Werk voller Geschichten aus dem Leben eines Menschen, der weiß, was die Präsenz von Liebe – und deren Abwesenheit – mit sich bringen kann.
Das große Werk im kleinen Rahmen: ein attraktiver Anreiz für Komponist:innen. Zum Beispiel bearbeitete Johannes Brahms seine Sinfonien, um sie zuhause an zwei Klavieren einem kleinen Publikum zu präsentieren. Auch Brahms’ großes Vorbild, Ludwig van Beethoven, hatte offenbar Lust, seine zweite Sinfonie auch in kammermusikalischen Kontexten zu hören.
So entstand die Fassung für Klaviertrio der zweiten Sinfonie. Der Schaffensprozess der originalen Orchesterfassung war allerdings nicht ganz ›ungebrochen‹. Im Herbst 1800 brachte Beethoven erste Einfälle zu Papier. Dann sorgte die Arbeit an der Ballettmusik zu »Die Geschöpfe des Prometheus« für eine ›Sinfonie-Pause‹. Von Herbst 1801 bis April 1802 konnte Beethoven sich wieder seiner zweiten Sinfonie zuwenden, und so kam es am 5. April 1803 zur Uraufführung. 1806 erschien schließlich die Trio-Fassung im Druck.
Nachdem Beethovens zweite Sinfonie publiziert worden war, stellte 1805 ein Rezensent für sich fest:
»Das Ganze ist zu lang und Einiges überkünstlich; wir setzen hinzu: der allzu häufige Gebrauch aller Blasinstrumente verhindert die Wirkung vieler schöner Stellen und das Finale halten wir, auch jetzt, nach genauer Bekanntschaft, für allzu bizarr, wild und grell.«
Das (vermeintliche) ›Blasinstrumenten-Problem‹ war mittels der Klaviertrio-Fassung naturgemäß aus der Welt geschafft – und der Vorwurf der »Bizarrerie« wurde Beethoven zu Lebzeiten oft gemacht; und zwar immer dann, wenn seine Werke besonders revolutionär, forsch, ja, schlichtweg ›anders‹ tönten. »Bizarr«: ein Lieblingswort der angesichts von Beethovens Musik oft hilflosen Kritiker!
1806 hieß es dann zur vorgelegten Klaviertrio-Fassung der zweiten Sinfonie: »Dieser Auszug ist […] in vielem Betracht mit Dank anzunehmen, so sehr man – und im Ganzen gewiss mit vollkommenem Grunde – gegen das Arrangieren solcher Werke überhaupt sein mag. […] [Man] […] hätte kaum geglaubt, dass davon ein so genügender und zugleich für alle drei Instrumente so gut eingerichteter Auszug gegeben werden könne, als hier, den Hauptsachen nach, wirklich gegeben ist.«
Das Lob für die gelungene – vom Orchester auf Violine, Violoncello und Klavier übertragene – Instrumentation überbot der anonyme Autor sogar, indem er schrieb: »Man erhält in der Tat ein nicht unwürdiges und möglichst vollständiges Bild vom Ganzen.« Das zeichnet sich schon in der langsamen Einleitung des ersten Satzes (Adagio molto – Allegro con brio ab). Der laute Fortissimo-Auftakt wird in der Klaviertrio-Fassung von allen drei Instrumenten intoniert. Im Orchester-Original ist es – erwartungsgemäß – das ganze Orchester. Wenn aber der heftige Auftakt nach wenigen Takten wiederkehrt, so hören wir diesen in der Trio-Fassung nur von Geige und Cello, während das Klavier noch mit der (ursprünglichen) Holzbläser-Passage beschäftigt ist.
Der zweite Satz (Larghetto) könne in der Triofassung – laut Rezensent – zwar nicht »unmittelbar die Reize oder die besondere Behandlungsweise gewisser Instrumente« vermitteln; aber der dritte Satz (Scherzo. Allegro – Trio) bleibe auch in der Bearbeitung »originell« und »interessant«. Zum Finale (Allegro molto) notierte besagter Autor:
»Der letzte Satz, in seiner tumultuarischen, wilden Abenteuerlichkeit, konnte nicht so genügend eingerichtet werden; auch ist er, obgleich es auf den ersten Anblick nicht so scheint, sehr schwer zu spielen, so dass man ihn auch in dieser Form nur selten vollkommen ausgeführt hören wird.«
Umso spannender, die Bearbeitung heute einmal live vom Trio Orelon zu erleben!
Arno Lücker
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Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Julia Grabe
Die Texte von Arno Lücker sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.