Kateryna Titova Klavier
Bernhard Schimpelsberger Percussion
(Beethovenfest Fellowship)
Eduard Kutrowatz Klavier & Percussion
28.8.– 27.9. 2025
Kateryna Titova Klavier
Bernhard Schimpelsberger Percussion
(Beethovenfest Fellowship)
Eduard Kutrowatz Klavier & Percussion
Domenico Scarlatti (1685–1757)
Klaviersonaten K.213 d-Moll, K.9 d-Moll, K.212 A-Dur
Maurice Ravel (1875–1937)
»Alborada del gracioso« aus »Miroirs«, arr. von Bernhard Schimpelsberger
Bernhard Schimpelsberger (*1983)
»Passages«
Fazil Say (*1970)
»Black Earth«, arr. von Bernhard Schimpelsberger und Kateryna Titova
Eduard Kutrowatz (*1963)
»Heartbeat 3« für 3 Spieler:innen an Klavier und Percussion
Pause
Modest Mussorgsky (1839–1881)
»Bilder einer Ausstellung«, arr. von Bernhard Schimpelsberger
Sergei Prokofjew (1891–1953)
Klaviersonate Nr. 3 a-Moll op. 28, arr. von Bernhard Schimpelsberger
Allegro tempestoso
Das heutige Programm möchte durch einen neuen Fokus auf den Rhythmus Ohren öffnen: für verborgene Aspekte in schon bekannten Werken, für neue Klanglichkeiten und für die Verbindung verschiedener Kulturen. Bernhard Schimpelsberger kombiniert dabei sein besonderes und weltumspannendes Instrumentarium, eine Mischung aus Percussion und klassischem Schlagzeug, mit dem Klavier, gespielt von Kateryna Titova. Seine Versionen der bekannten Klavierwerke sind weit mehr als bloße Arrangements für eine neue Besetzung – Schimpelsberger nennt sie ›Interpretationen‹.
»Rhythmus stand sehr lange auf einem Abstellgleis«, so Schimpelsberger. Melodien und Harmonien bildeten die Hauptelemente in klassischer europäischer Musik, bis der Rhythmus im 20. Jahrhundert teilweise mehr in den Vordergrund gerückt wurde. Heute Abend wird ihr Zusammenspiel auf neue Weise beleuchtet.
Verwurzelt in der europäischen Kultur entdeckt Schimpelsberger die Musik seiner Heimat durch unterschiedliche Rhythmussprachen der Welt neu und verbindet diese miteinander. So wird deutlich: Klassische Musik kann grooven! Es kommt dabei auf das Zusammenspiel von Metrik und fluider Zeit an.
Domenico Scarlattis Werk und Wirken wurde lange Zeit von der Persönlichkeit seines Vaters, der ebenfalls Musiker und Komponist war, überschattet. Doch ab dem Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte man die ungeahnte Komplexität seiner mehr als 550 Sonaten für Tasteninstrumente. Schon bald etablierten sie sich sowohl im Konzertwesen als auch in der Klavierpädagogik.
In Fachkreisen von Musikwissenschaft und Aufführungspraxis wird gerne diskutiert, welche der Sonaten am besten für welches Instrument geeignet sind. Neben dem modernen Flügel, auf dem viele Pianist:innen die Sonaten heute spielen, stehen mit Cembalo, Orgel und Clavichord auch verschiedene historische Instrumente zur Debatte. Bis auf die zu seinen Lebzeiten gedruckten Sonaten ist es nicht möglich, ihre Entstehungszeit oder -reihenfolge zu rekonstruieren. Das liegt u. a. daran, dass die Kompositionen nicht in autografen (also von Scarlatti eigenhändig notierten) Quellen, sondern nur als Abschriften vorliegen.
Die Sonate K.213 ist zweigeteilt; jeder Teil wird wiederholt. Das Werk ist eher in sich gekehrt und wirkt nachdenklich – nicht zuletzt durch das Auskosten von dissonanten Akkorden, nämlich verminderter Septakkorde.
Mit »Miroirs« geht Ravel neue Wege in der Harmonik. In autobiografischen Skizzen schreibt er, dass damit »selbst diejenigen Musiker aus der Fassung gebracht wurden, die bis dahin am stärksten mit meiner Kompositionsweise vertraut waren«. Zu diesen Neuerungen gehört, dass er Dreiklänge durch weitere (dissonante) Töne anreichert. Diese neuen Vielklänge reichen bis hin zu ganzen Clustern (also dem Zusammenklang von vielen benachbarten Tönen). Außerdem setzt er ungewöhnliche Tonsprünge ein: Statt dem Oktavsprung, der klanglich denselben Ton in anderer Lage wiederholt, nutzt Ravel gern den Sprung in die etwas kleinere Septime, einem dissonanten Tonverhältnis.
Schimpelsberger und Titova haben »Alborada del gracioso« aufgrund der spanischen und Flamenco-Elemente in der Musik ausgewählt, die gerade für die Interpretation mit Klavier und Percussion einen besonderen Reiz darstellen.
Oft hat Percussion die Rolle, Begleitung zu sein oder Motor für eine Geschichte, die von einer Stimme oder einem Melodieinstrument vorgetragen wird. In »Passages« hingegen steht die Percussion im Vordergrund und wird selbst zur Geschichtenzählerin einer Reise durch verschieden Rhythmen der Welt. Neben fest komponierten Elementen treten auch improvisatorische Aspekte hinzu, und zum Abschluss erklingen indische Rhythmusgedichte.
In »Passages« ist das besondere Instrumentarium von Schimpelsberger in all seinen Facetten zu erleben. Er beschreibt es als »eine Mischung aus Percussion und Schlagzeug. Es funktioniert wie ein Drum Set, ich spiele es mit den Füßen und den Händen, aber ich habe viele Trommeln ausgetauscht«. Sein Set ergänzen afrikanische und indische Trommeln, brasilianische Klangrasseln, Klangschalen sowie chinesische Gongs. Außerdem hat Schimpelsberger neue Instrumente speziell nach seinen klanglichen Vorstellungen bauen lassen und eigene Schlagzeugstöcke entwickelt. Diese sind eine Kreuzung aus Besen (Brushes) und Sticks und ermöglichen mit einer gewissen Technik ganz unterschiedliche Lautstärken. Diese Vielfalt bereichert nicht nur sein solistisches Spiel, sondern ist auch wichtig für das kammermusikalische Zusammenspiel.
»Kara Toprak« (»Black Earth«) ist inspiriert von dem gleichnamigen populären türkischen Lied des Komponisten Aşık Veysel (1891–1973), einem der letzten großen Balladensänger:innen einer langen Tradition. In der Ballade besingt er Einsamkeit und Verlust. Die einzige treue Gefährtin, die in allen Tiefpunkten des Lebens für ihn da ist und konstant bleibt, ist die schwarze Erde.
Der Klaviervirtuose Fazıl Say imitiert in Teilen von »Kara Toprak« durch mit der Hand gedämpfte Klaviersaiten den Klang der Saz, einer türkischen Langhalslaute, die auch Veysel gespielt hatte. Doch »Kara Toprak« ist nicht einfach nur eine Hommage an seine Heimat, die Türkei. Say verbindet in dem Stück unterschiedliche musikalische Stile und Kulturen. Neben die Meditation über Themen der Ballade treten Elemente von Folklore, des klassisch-romantischen Klavierstils und des Jazz. Say sucht auch in anderen Kompositionen immer wieder den Dialog zwischen Europa und der Türkei und wurde 2016 mit dem Beethovenpreis für Menschenrechte ausgezeichnet.
»Kara Toprak« hat Schimpelsberger schon als Kind fasziniert und »total weggebeamt«. Nun knüpft er mit seiner Interpretation an die klangliche und stilistische Vielfalt an und lässt das Publikum »die Ohren noch mal ganz weit aufmachen«.
Rhythmus begleitet uns in jedem einzelnen Augenblick des Lebens in Form des Herzschlags. Meist schlägt das Herz ganz unbemerkt und monoton. Wir nehmen es erst wahr, wenn der Puls vor Aufregung bebt, das Herz ins Stolpern gerät oder gar Unterstützung braucht, um wieder in seinen gesunden Rhythmus zu finden.
Schon vor der Geburt können Babys hören und nehmen den Herzschlag der Mutter deutlich wahr. Die Augen brauchen dagegen in ihrer Entwicklung viel länger. In den ersten Lebensmonaten sehen Babys nur verschwommen und Hell-Dunkel-Kontraste. Umso mehr wirken der Herzschlag der Mutter und vertraute Stimmen beruhigend. Doch auch andersherum ist es für die Angehörigen ein großer Moment, die Herztöne des ungeborenen Babys zu hören.
Der eigene Herzschlag trägt uns im Leben bis zum Tod. Eduard Kutrowatz komponierte »Heartbeat«, nachdem er medizinische Aufzeichnungen von Herztönen studiert hatte. Sein Stück verwendet den Herzschlag des Menschen als rhythmische Basis und zeichnet damit das Leben selbst nach: vom Entstehen des Schlags aus weißem Rauschen bis zum Herzstillstand.
Mussorgsky schrieb den Klavierzyklus inspiriert durch eine Ausstellung von Werken des befreundeten Malers und Architekten Viktor Hartmann. Zu sehen bzw. hören sind zehn Bilder, angefangen bei einem Gnom, über ein altes Schloss, spielende Kinder in einem Park, einen Rinderkarren, Kostüme für ein Ballett von Küken, zwei sich unterhaltende jüdische Männer, wildes Treiben auf einem Marktplatz, die Pariser Katakomben, ein Hexenhaus bis hin zum großen Tor von Kiew. Dazwischen erklingt immer wieder in leicht wechselnder Form die »Promenade« des umhergehenden Betrachtenden.
Erst durch die Orchesterfassung von Maurice Ravel wurden die »Bilder einer Ausstellung« etwa 50 Jahren nach ihrem Entstehen berühmt. Bernhard Schimpelsberger interpretiert sie nun auf seine Weise für eine weitere Besetzung: Klavier und Percussion. Er möchte damit ein neues Hörerlebnis für ein bekanntes Werk schaffen. Mit dem Wissen um andere rhythmische und musikalische Sprachen hebt er Elemente hervor, die schon in der Musik enthalten sind, jedoch meist unbemerkt bleiben.
Das erfordert Sensibilität beim Arrangieren, erklärt Schimpelsberger.
»Man muss wissen, wann man sich zurücknehmen muss.«
Also, wie viel er in seinen ›Interpretationen‹ des Originals hinzufügen oder verändern kann und wo die Grenzen dafür sind. Nur dann gelingt das Zusammenspiel der verschiedenen metrischen Konzepte, die unterschiedlich mit Spannung und Entspannung umgehen und verschiedene Momente im Takt betonen.
Prokofjew ist bekannt für seine stilistische Vielfalt. In seiner Autobiografie beschreibt er fünf Grundlinien seines Komponierens: klassisch, modern, motorisch, lyrisch und grotesk. Diese Stile beziehen sich nicht auf bestimmte Phasen seines Schaffens, sondern tauchen immer wieder in seinem gesamten Œuvre auf.
Die Klaviersonate Nr. 3 basiert auf Skizzen, die Prokofjew bereits zehn Jahre zuvor im Alter von 16 Jahren anfertigte. Sie trägt den Untertitel »nach alten Heften«. Es ist ein hochvirtuoses, wildes und kraftvolles Werk, in dem sich bewegte Rhythmen mit gesanglichen Melodien abwechseln. Prokofjew variiert die Themen nicht nur gemäß klassischer Konventionen, sondern verändert im Laufe des Stücks auch ihren Charakter.
Wir – das Beethovenfest Bonn – laden ein, in einem offenen und respektvollen Miteinander Beethovenfeste zu feiern. Dafür wünschen wir uns Achtsamkeit im Umgang miteinander: vor, hinter und auf der Bühne.
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Das Beethovenfest Bonn 2025 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Julia Grabe
Die Texte von Lena Frömmel sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.