Bachs Cellosuiten sind ein Universum des Cellos. Erzähle von dem Ort, den diese Werke in Deinem Leben haben.
Anastasia Kobekina: Diese Musik begleitet mich wohl am längsten und ich habe sie am meisten aufgeführt. Egal, ob ich die Suiten für mich allein oder im Konzert spiele: Jedes Mal erlebe ich etwas Neues mit ihnen. Diese Musik tritt in Resonanz mit mir, mit derjenigen, die ich in dem Moment bin. Sie zu spielen bedeutet, eine innere Reise offenzulegen, wie ein Selbstporträt. Jedes Mal muss ich mich dafür verletzlich und mutig zeigen. Das ist die Größe dieser Werke. Sie sind eine offene Frage, die uns ewig dazu einlädt zu lauschen, zu erkunden, uns selbst zu finden.
Du hast Dich für das Bonner Konzert entschieden, Bachs Musik auf dem Barockcello zu spielen. Seit wann beschäftigst Du Dich mit der historischen Aufführungspraxis? Welchen Unterschied macht das für Dich?
Ich habe jahrelang nach dem Schlüssel zu Bachs Cellosuiten gesucht. Jede:r Lehrer:in oder Kolleg:in hat mir den eigenen Zugang als definitive Lösung angeboten, ›wie es gespielt werden soll‹. Aber mir leuchtete keiner davon ein. Das änderte sich, als ich die fantastische Barockcellistin Kristin von der Goltz kennenlernte. Sie hat mir die Welt der Barockmusik aufgeschlossen. Seit sieben Jahren studiere ich mit ihrer Begleitung dieses Repertoire und das historische Instrumentarium – und habe mich komplett in die Epoche verliebt. Was mich daran fasziniert, ist die grenzenlose Freiheit und Leidenschaft, die in der Barockmusik steckt – trotz der vielen historischen Quellen mit stilistischen Normen. Besonders der warme Klang von Darmsaiten ist für mich unnachahmlich: Er ist ehrlich und ungekünstelt. Das erweitert die eigene Vorstellungskraft und ermöglicht Experimente.
Du wirst im Konzert zwischen dem Barockcello und dem modernen Cello wechseln. Ist das eine Herausforderung?
Absolut. Für das Barockcello braucht man eine andere Technik als für das moderne. Auf den Darmsaiten ist das Spielgefühl völlig anders als auf Stahlsaiten. Es erfordert viel Geduld, um zu lernen, mit dem empfindlichen Barockcello umzugehen, zum Beispiel einen langsamen Bogenstrich zu kontrollieren. Innerhalb eines Konzerts muss man sich schnell umstellen können, um beide Celli zu spielen. Aber so kann es gelingen, mittels der Instrumente wie in einer Zeitmaschine zwischen den historischen Musikwelten zu reisen.
Du verbindest in Deinem Programm Bachs Cellosuiten Nr. 1 bis 3 mit zeitgenössischen Solowerken. Wie stehen sie in Beziehung zueinander?
Ich habe die modernen Stücke so ausgesucht, dass ihr charakteristischer Klang jede der Cellosuiten neu beleuchtet. So wird unsere Wahrnehmung der Alten Musik herausgefordert. Die zeitgenössische und die barocke Musik stehen im Kontrast, aber sie haben etwas Wichtiges gemeinsam: Sie bieten Freiheit für die Interpretation. Die Neue Musik hat noch keine Aufführungsgeschichte mit ikonischen Aufnahmen, die Hörgewohnheiten zementieren würden. Ich weiß nicht im Voraus, wie die Stücke klingen müssen – ich habe nur die Partitur. So öffnet sich ein endloser Raum für die Fantasie und für kreatives Ausprobieren.