Brooklyn Rider
Johnny Gandelsman Violine
Colin Jacobsen Violine
Nicholas Cords Viola
Michael Nicolas Violoncello
28.8.– 27.9. 2025

Brooklyn Rider
Johnny Gandelsman Violine
Colin Jacobsen Violine
Nicholas Cords Viola
Michael Nicolas Violoncello
Joseph Haydn (1732–1809)
Streichquartett f-Moll op. 20/5
I. Allegro moderato
II. Menuetto
III. Adagio
IV. Finale
Matana Roberts (*1975)
»borderlands …«
Gabriel Kahane (*1981)
»American Studies«
Pause
Bob Dylan (*1941)
»The Times They Are A-Changin’«, arr. von Colin Jacobsen
Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Streichquartett Nr. 9 C-Dur op. 59/3
I. Introduzione. Andante con moto – Allegro vivace
II. Andante con moto quasi Allegretto
III. Menuetto. Grazioso – Trio (attacca subito)
IV. Allegro molto
Das New Yorker Streichquartett Brooklyn Rider ist vielseitig unterwegs: Mal thematisiert das Quartett auf seinem Album die globale Erwärmung, dann wiederum musiziert es gemeinsam mit Irish-Fiddle-Star Martin Hayes. Beim Beethovenfest ist Brooklyn Rider zum wiederholten Mal zu Gast – dieses Jahr mit dem Programm »Citizenship Notes«. Mit im Gepäck haben die Musiker Stücke aus verschiedenen Jahrhunderten, die jeweils auf ihre Weise Demokratie und Bürgerschaft thematisieren. Und nicht zuletzt möchte Brooklyn Rider in seinen Konzerten alle Grenzen zwischen Musik, Künstler:innen und Publikum überwinden – und das geht als Streichquartett besonders gut.
Wie fühlt sich das an, in einem Streichquartett zu spielen? Ein Ensemble aus vier verschiedenen Mitgliedern, drei Instrumenten mit unterschiedlichen Anforderungen, auf der Suche nach einem gemeinsamen Klang. Wie ist dieser Klang beschaffen? Wer tut sich hervor, wer hört zu, wer leitet an?

Der Kosmos des Streichquartetts ist einer, der die Musikwelt seit Jahrhunderten fasziniert. Zahllose Bücher wurden geschrieben, Zitate überliefert und Filme gedreht, um das musikalische und menschliche Innenleben eines Streichquartetts im Detail zu sezieren. Für das New Yorker Ensemble Brooklyn Rider ist klar: Perfekt ist dieses gemeinsame Musikmachen nie. Vielmehr geht es um eine Suche – eine Suche nach der Demokratie in der Musik.
»Wir wollen Menschen im Konzert nicht vorgeben, was sie zu denken haben. Sie sollen mit einer Idee kommen und mit einer neuen gehen.«
– Nicholas Cords, Brooklyn Rider
Eine der Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie ist Zuhören. Nicht lauter sein wollen als andere, sich im richtigen Moment zurücknehmen, Raum geben. Das gilt für unsere Gesellschaft, lässt sich aber auch auf das Musikmachen im Streichquartett anwenden und ist eines der Hauptanliegen von Brooklyn Rider: sich als Künstler so zurückzunehmen, dass der Klang frei fließen kann. Mit so wenig kommunikativem Aufwand wie möglich soll die Musik entstehen, sodass das Publikum ohne Umwege eintauchen und zum Herzen der Musik gelangen kann.
Es gibt musikalische Werke, die veranschaulichen, wie sich eine perfekt gelebte Demokratie anfühlen und anhören könnte. Ein Beispiel dafür ist der vierte Satz des Streichquartetts f-Moll op. 20 Nr. 5 von Joseph Haydn. Wenn über die Gattung des Streichquartetts philosophiert wird, dann gelten Haydns Streichquartette als absolute Musterbeispiele. Er war derjenige, der der Musikwelt zeigte, wie gleichberechtigt vier Instrumente miteinander interagieren können. Gleichzeitig bediente er sich einer reichen Palette an Emotionen und Farben – in seiner Musik steckt mal schweres Pathos, mal eine absolute Strenge, hier und da blitzen Humor und Witz durch. Nicht umsonst wurde der Komponist schon zu seinen Lebzeiten als »Vater des Streichquartetts« bezeichnet.
Aber wie hat Joseph Haydn das demokratische Prinzip nun in Musik verpackt? Er nutzt die Fuge als Stilmittel: Ein musikalisches Thema und – in diesem Fall – ein Gegenthema wandern durch die vier verschiedenen Stimmen des Streichquartetts. Wie in einem Gespräch führen die Stimmen abwechselnd ihre Argumente an, ziehen sich wieder zurück, geben sich Raum, fallen sich ins Wort, erschaffen etwas Gemeinsames. Sobald alle Instrumente an einem Strang ziehen, entwickelt dieses Ping-Pong-Spiel eine gewaltige Wucht. Vielleicht sollten wir unsere gesellschaftlichen Debatten in Zukunft etwas musikalischer denken ...
Das Stück »borderlands ...« von Matana Roberts bringt uns in das aktuelle Amerika. Es ist aus dem Verständnis eines demokratischen Amerikas heraus entstanden und aus dem Frust darüber, wie dieses Verständnis durch die Politik zerschlagen wird. Konkret: Es geht um die Situation an der amerikanisch-mexikanischen Grenze. Die Jazz-Künstlerin und Komponistin Matana Roberts will durch das Werk ihren Schmerz und ihre Hilflosigkeit in Anbetracht der menschenverachtenden Lage dort in das kollektive Bewusstsein rücken, basierend auf detailliert recherchierten Daten. Und gleichzeitig schreibt Matana Roberts eine Komposition, die demokratischer nicht sein könnte – so viel Raum für Mitbestimmung lässt sie den Musikern. Matana Roberts schrieb keine Partitur, sondern malte Bilder: Collagen – mit viel schwarz und rot, hier und da scheinen Notenlinien hervor, darauf gezeichnete Buchstaben und Zahlen.

Außerdem entwarf Matana Roberts Regeln – die sogenannten »rules of engagement« –, die das Stück mitbestimmen. Eine davon: Alle 36 Sekunden sollen die Musiker zum nächsten Bild umblättern. 36 Sekunden – so lange dauert es durchschnittlich, einem Menschen Handschellen anzulegen, fand Roberts in ihrer Recherche heraus. »borderlands ...« ist ein Stück, das sowohl dem Publikum als auch den Musikern viel abverlangt. Die grafische Notation provoziert Chaos. Dann wieder gibt es Momente, in denen alles zusammenkommt, im Einklang ist. Die Worte, die die Musiker rezitieren, sind Ausschnitte aus der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Diese sollten wir uns immer wieder in Erinnerung rufen:
»… dass alle Menschen gleich erschaffen wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, worunter sind Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit.«
Auf die Frage nach einem Ratschlag, wie wir die Kreativität in uns wecken können, antwortet der amerikanische Komponist und Singer-Songwriter Gabriel Kahane im Youtube-Format Lightning Bugs: »Wenn dein Job es erlaubt, lasse deine elektronischen Geräte bis 15 oder 16 Uhr am Nachmittag ausgeschaltet. Und dann spüre, wie sich das Leben anfühlt.« Gabriel Kahane muss es wissen. 2016, einen Tag nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl von Donald Trump, ist er mit dem Zug 13 Tage lang durch 31 Staaten gefahren, um nachzuspüren, was in seinem Land los ist; um seine eigenen Vorurteile zu erkennen, zu überwinden und sich in Toleranz zu üben. Das Handy hat er zu Hause gelassen.
Drei Jahre später wiederholte er das Digital-Detox-Experiment – aus den 13 Tagen wurde ein ganzes Jahr ohne Internet. Er wollte sich an die Interaktionen in unserem realen Alltag erinnern, die wir, gefangen im Virtuellen, verpassen. Die Corona-Pandemie machte ihm in dieser Hinsicht einen Strich durch die Rechnung. Dennoch – oder gerade deshalb – ist er sich bewusst geworden, was er als Musiker erreichen will: Gemeinschaft ermöglichen. Ein soziales Miteinander. Und er philosophierte darüber, was es eigentlich bedeutet, Amerikaner:in zu sein. Daraus ist der Song »To Be American« entstanden. Ein nostalgischer Song über ein früheres Gemeinschaftsgefühl in Amerika, das sich heute so fern anfühlt. Brooklyn Rider spielt Kahanes Version für Streichquartett.
»Ich denke, wenn wir anfangen, die Grenze zwischen ›denen‹ und ›uns‹ zu überwinden, dann erkennen wir, dass wir alle nur Menschen sind.«
– Gabriel Kahane
Der Wunsch nach Demokratie, Freiheit, Menschenrechte für alle kann sich auf subtile Weise in Musik widerspiegeln. Oder er kann offen besungen werden. Wie in den Protestliedern, die zum Beispiel in den Sechzigerjahren in Amerika den Wunsch nach Veränderung und Gleichberechtigung zum Klingen gebracht haben. Vor allem die junge Generation hat sich ihre Stimmbänder bei den sogenannten »Hootenannies« warm gesungen: Auf öffentlichen Plätzen, in Cafés und Colleges kamen die Menschen zum Singen zusammen. So entstand ein neuer Hype um die Folk Music. Denn was sie besonders gut kann: Ängste, Sorgen und Erfahrungen in Musik verpacken, ein Gemeinschaftsgefühl wecken. Es entstanden sozialkritische Lieder der Gewerkschaften, Spottlieder auf Politiker, Antikriegs-Lieder.

Bob Dylans »The Times are A-Changing« aus dem Jahr 1964 ist auch so ein Protest-Song.
»Die Zeiten ändern sich, kritisiert nicht, was ihr nicht verstehen könnt, eure alte Straße altert schnell, blockiert nicht die neue.«
Der Text ist so zeitlos, er könnte auch für 2025 gelten – die Melodie sowieso. Für Brooklyn Rider hat das Quartett-Mitglied Colin Jacobsen eine neue Komposition geschrieben, basierend auf »The Times are A-Changing«.
Zurück an den Anfang des 19. Jahrhunderts und zur Hauptperson dieses Festivals: Ludwig van Beethoven. Ja, er konnte sich mit den Idealen der Französischen Revolution anfreunden. Damit, dass jeder Mensch einen Wert hat. Er hat daran geglaubt, dass sich jeder Mensch durch eigenes Bestreben, durch Bildung vervollkommnen kann. Das war damals der intellektuelle Zeitgeist in Europa. Doch Beethoven war nicht durch und durch der revolutionäre Geist, zu dem ihn die Nachwelt stilisiert hat. Sein Hauptinteresse galt immer noch der Musik und ihrer künstlerischen Vervollkommnung. Das hat er zum Beispiel auch in seinen Streichquartetten op. 59 unter Beweis gestellt.

Anlass für die Komposition der drei Quartette war der Kontakt mit Ignaz Schuppanzigh. Er war Geiger im ersten professionellen Streichquartett der Musikgeschichte überhaupt und Kurator einer Abonnementreihe für Kammermusik. Beethoven witterte die Gelegenheit, seine Musik in professionellstem Umfeld aufzuführen, und machte sich direkt ans Werk. Was Haydn begonnen hatte, führte er fort. Er erweiterte den Umfang der Quartette, steckte noch mehr Dynamik und Spannung hinein, Tonarten und Harmonien führte er an ihre Grenzen. Auch die Instrumentalisten forderte er heraus – ganz ungewohnt war es für sie in dieser Zeit, dass sie tatsächlich üben mussten.
Diese Streichquartette sprengten den Rahmen von gemütlichen Salonkonzerten in Wohnzimmern und wurden von nun an im Konzertsaal aufgeführt. Man kann sich vorstellen, wie überrascht das Publikum über den zukunftsgewandten Drive der Quartette gewesen sein musste. Die Menschen waren voller Bewunderung für Beethoven, interessiert, aber auch etwas überfordert. Beethoven ließ sich nicht beirren:
»Wahre Kunst ist eigensinnig, lässt sich nicht in schmeichelnde Formen zwingen.«
– Ludwig van Beethoven
Texte: Svenja Wieser
Der Name Brooklyn Rider ist inspiriert von der Künstlergruppe Der Blaue Reiter (englisch »The Blue Rider«), die zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschiedene Künste und Ästhetiken vereinigte. Vom amerikanischen Strings Magazine als »Zukunft der Kammermusik« bezeichnet, präsentiert das New Yorker Streichquartett ein diverses Repertoire und begeistert in mitreißenden Aufführungen die Kritiker:innen der klassischen Musik, der Weltmusik sowie der Rockmusik gleichermaßen.
Das US-amerikanische National Public Radio bescheinigt Brooklyn Rider, »die 300 Jahre alte Gattung des Streichquartetts als eine lebendige, schöpferische Kunstform des 21. Jahrhunderts neu geschaffen zu haben«, was sich auch in den Programmen des Quartetts widerspiegelt. Es vergibt dafür zahlreiche Kompositionsaufträge. In seinen Alben kollaborierte das Streichquartett mit außergewöhnlichen Musiker:innen außerhalb der Klassik, etwa mit dem Jazz-Saxofonisten Joshua Redman (»Sun on Sand«), dem mexikanischen Jazz-Sänger Magos Herrera (»Dreamers«) und dem Meister der irischen Fiddle, Martin Hayes (»The Butterfly«).
Wir – das Beethovenfest Bonn – laden ein, in einem offenen und respektvollen Miteinander Beethovenfeste zu feiern. Dafür wünschen wir uns Achtsamkeit im Umgang miteinander: vor, hinter und auf der Bühne.
Für möglicherweise auftretende Fälle von Grenzüberschreitung ist ein internes Awareness-Team ansprechbar für Publikum, Künstler:innen und Mitarbeiter:innen.
Wir sind erreichbar über eine Telefon-Hotline (+49 (0)228 2010321, im Festival täglich von 12–20 Uhr) oder per E-Mail (awareness@beethovenfest.de).
Werte und Überzeugungen unseres Miteinanders sowie weitere externe Kontaktmöglichkeiten können hier auf unserer Website aufgerufen werden.
Das Beethovenfest Bonn 2025 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Julia Grabe
Die Texte von Svenja Wieser sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.