Beethoven Orchester Bonn
Bernhard Schimpelsberger Percussion
(Beethovenfest Fellowship)
Dirk Kaftan Dirigent
28.8.– 27.9. 2025
Beethoven Orchester Bonn
Bernhard Schimpelsberger Percussion
(Beethovenfest Fellowship)
Dirk Kaftan Dirigent
Barak Schmool (*1969)
»Great Circles« für Percussion und Orchester (Uraufführung)
I. »Air«
II. »Water«
III. »Earth«
IV. »Fire«
Pause
Hector Berlioz (1803–1869)
»Symphonie fantastique« op. 14
I. »Rêveries – Passions«
II. »Un bal«
III. »Scène aux champs«
IV. »Marche au supplice«
V. »Songe d’une nuit du sabbat«
»Great Circles« (auf Deutsch: Großkreise) sind die Umfänge der Erde, ihre Bögen sind die kürzesten Linien zwischen zwei Punkten auf einer Kugel – die Routen, die der Luftverkehr normalerweise nimmt. Als Bernhard mit dem Wunsch an mich herantrat, ein Stück zu komponieren, das seine Fähigkeiten als Schlagzeuger voll zur Geltung bringt, hatte ich seine »Rhythm Diaries«, YouTube-Videoblogs von seinen Weltreisen, bereits mit Interesse verfolgt. So entstand zwischen uns der Plan, ein daran angelehntes Stück zu schreiben, das musikalisch und rhythmisch verschiedene Punkte auf dem Globus verbindet. Zwar beziehe ich mich explizit auf Musikstile anderer Kulturen und die unterschiedlichen Energien, die von ihnen ausgehen, doch werden die Einflüsse durch die Linse der Orchestermusik gebrochen und nehmen eher kompositorische Prozesse als spezifische Themen auf.
Der Titel »Great Circles« verweist nicht nur auf Schimpelsbergers Reisen, sondern auch auf große Kreise im musikalischen Rhythmus, große sich wiederholende Strukturen, in denen sich ein Diskurs fortschreibt. In diesem Kontext epischer, zyklusartiger Geschichten wird das Schlagzeug in verschiedenen Rollen eingesetzt: Als atmosphärische Farbe, als Melodie, als Begleitung, als Solo, das initiiert oder reagiert, verbindet, kommentiert oder zum Tanzen bringt.
Die Reiseroute dieses »Great Circles« führt durch Indonesien, Indien, Afrika und Südamerika. In der Musik sind eine Reihe von Easter Eggs zu finden. Das Stück besteht aus vier miteinander verbundenen Sätzen, von denen jeder eine Zahlensymmetrie aufweist und eine Beziehung zu einem der klassischen Elemente (Luft, Wasser, Erde, Feuer) hat. Man kann die Entwicklung und Reise der musikalischen Themen verfolgen, während sie von einem Ort zum anderen springen. Natürlich ist es auch möglich, die Musik auf einer rein emotionalen Ebene zu genießen, ohne sich über diese Details Gedanken zu machen. Viel Spaß beim Hören!
Barak Schmool
Welche Rolle hat das Schlagzeug in Barak Schmools Werk? Er fordert alle denkbaren Interaktionen zwischen dem Orchester und Dir – was bedeutet das für Dich?
Bernhard Schimpelsberger: Rhythmus ist für mich die Energie, das Fundament, der Motor der Musik – aber eben noch viel mehr! Man ist natürlich zunächst der Solist, der das Narrativ prägt. Aber man ist dann auch Begleiter. Und Begleitung bedeutet in unterschiedlichen Sprachen eben Unterschiedliches. Im europäisch-klassischen Sinne wäre sie ornamentierend: Zum Beispiel, indem ich mit einer Triangel, einer Snare Drum oder einem Tam-Tam eine Textur umspiele. Anders ist die begleitende Funktion im afrikanischen Sinne, bei der man sich als Kontrapunkt, als Gegenpart rhythmisch einfügt und sich mit den anderen Musiker:innen verweben muss. Das ist die große Kunst der afrikanischen Rhythmik! Ein dritter Aspekt ist auf jeden Fall der melodische: Im dritten Satz zum Beispiel spiele ich Daumenklavier, die ›Mbira‹. Sie ist in Tansania ein echtes Soloinstrument, das anspruchsvoll und mehrstimmig gespielt wird. Und dann noch: Texturales, zum Beispiel Naturklänge wie Wind, Wald, Vögel. Oder vielleicht industrielle Sounds wie Maschinenklänge! Und dann, zuletzt, singe ich auch noch: Und zwar die indische Rhythmussprache ›Konnakol‹. In Indien werden Kompositionen immer zuerst gesungen, bevor man sie spielt. Die Stimme ist einfach der Ursprung. Das ist die Quelle, aus der wir kommen. »If you can sing it, you can play it.«
Ein weiterer Aspekt, der für mich persönlich relativ neu, aber sehr wichtig ist: Schlagzeug ist oft sehr laut. Ich habe viel ausprobiert und geforscht, um die Lautstärke herunterzubekommen. Das ist gerade im Moment eine wichtige Basis für meinen Umgang mit dem Instrumentarium: Ich kann und will unglaublich leise spielen. Und das wiederum wird natürlich spannend mit dem Orchester!
Auch das ist also, um das Motto des diesjährigen Beethovenfests zu beschwören, in gewisser Weise ›ultra‹, entgegen den normalen Hörerwartungen und Prinzipien.
Absolut! Ich finde es oft schade, wenn auf der Bühne ein großer Lautstärkepegel gefahren werden muss, weil gewisse Instrumente eben eine sehr hohe Grundlautstärke haben. Wenn Klang zur Stille wird, hat das eine unglaubliche Magie!
Ihr lotet ein völlig neues Verhältnis zwischen Soloinstrument und Orchester aus. Wie siehst Du die Rolle des Orchesters in der Zukunft?
In den letzten Jahren habe ich mit einem Dutzend verschiedener Orchester zusammengearbeitet und jedes Mal dazugelernt. Zum Beispiel, wie die Mitglieder untereinander kommunizieren. Mein Eindruck ist, dass die Multi-Lingualität nun auch in den Orchestern ankommt. Es gibt immer mehr Musiker:innen, die Jazz spielen oder sich mit anderen Stilen beschäftigt haben.
Rhythmus ist in jedem Fall die große musikalische Revolution des 20. Jahrhunderts: Angefangen bei Strawinskys »Le sacre du printemps« bis zur Minimal Music, wo der Rhythmus ganz stark in den Vordergrund rückt. Erst recht im 21. Jahrhundert: Die Chance ist da, dass musikalische Sprachen fusionieren und sich so auch die Rollenbilder der einzelnen Instrumente verändern. Das Orchester ist eine faszinierende Plattform, auf der sich unheimlich viel tut.
Mit dem Beethoven Orchester gemeinsam präsentieren wir Rhythmus in ungewohnter Vielschichtigkeit und Mehrsprachigkeit: Die Welt der Rhythmen oder die Rhythmen der Welt – in einem Stück gemeinsam auf die Bühne gebracht.
Das Interview mit Bernhard Schimpelsberger führte Tilmann Böttcher am 1.7.2025 per Zoom.
Hector Berlioz: »Symphonie fantastique: Épisode de la vie d’un artiste … en cinq parties« (»Fantastische Sinfonie: Episode aus dem Leben eines Künstlers … in fünf Teilen«) op. 14
Berlioz hat sein berühmtestes Orchesterwerk, die »Symphonie fantastique«, immer wieder kommentiert: immer wieder neu, immer wieder anders. Am berühmtesten wurde die Erzählung, die er 1855 nachliefert – ein gutes Jahrzehnt nach der Uraufführung. Sie beginnt so: »Ein junger Musiker mit allzu lebhafter Phantasie vergiftet sich aus Liebeskummer mit Opium. Das Betäubungsmittel, zu schwach, um ihn zu töten, stürzt ihn in einen tiefen Schlaf voller seltsamer Visionen ...« Und so weiter. Berlioz wird diesen Text bis zu seinem Tod im Jahr 1869 immer wieder umschreiben, anpassen, kürzen, differenzieren. Ein Werkkommentar mit beweglicher Bedeutung, sich ständig verändernd – wie die Träume, von denen er erzählt.
Doch man kann das Stück auch ohne diese Geschichte hören – als Versuch, einen inneren Zustand zu komponieren: unruhig, obsessiv, traumwandlerisch. Berlioz selbst nannte das Werk ursprünglich »Episode im Leben eines Künstlers«. Und genau so klingt es: wie ein Klangtheater der Seele.
Denn dem Komponisten war von Anfang an wichtig, dass die Worte kein bloßes Abbild von Geschehnissen sein sollten, sondern eine Begründung für die Gefühle liefern, die sich in der Musik ausgedrückt finden. Dass in einer früheren Fassung des Programms der Held zunächst alles real erlebt und erst vor dem vierten Satz Opium nimmt, während er in der späteren Fassung die gesamte Sinfonie im Rausch träumt, zeigt, wie sehr sich Berlioz’ Konzepte veränderten. Die musikalische Gestaltung jedenfalls ließ von Beginn an aufhorchen.
Wir erleben im ersten Satz eine Einleitung (»Rêveries«), die fast genauso lang ist wie der Hauptteil des Satzes (»Passions«). Sie ist voll von Brüchen in der Melodik, einer kühnen, chromatischen Harmonik – wie sie Wagner erst deutlich später benutzte – und zeugt von einem spielerischen Umgang mit überkommenen sinfonischen Formen. Man musste auf weitere Überraschungen gefasst sein. Hier beginnt die traumhafte Reise des Helden, und Berlioz macht das Publikum bekannt mit dessen ebenso traumhaften Geliebten, deren musikalisches Signet die berühmte Idée fixe ist – eine immer wiederkehrende kleine musikalische Linie.
Noch war es fast selbstverständlich, dass in einer Sinfonie der zweite Satz ein langsamer war – hier folgt überraschenderweise der Tanzsatz auf die Eröffnung. Begeistert hatte Berlioz Beethovens späte Sinfonien studiert und nahm sich an ihnen ein Beispiel. Aber dieser Ball hebt nicht direkt an wie ein normales Scherzo, sondern gestattet sich eine Einleitung wie für einen echten, zu tanzenden Walzer. Unvermittelt aber ist das Thema zu hören, das schon einen großen Teil des ersten Satzes in verschiedenen Stimmungen beherrscht hat und welches der Komponist, nach einem Terminus aus der Medizin, als »Idée fixe« bezeichnet hatte. Ein musikalisches Abbild der Geliebten, das den Helden unserer musikalischen Geschichte durch fünf Sätze jagt. Ein Thema, das – anders als bei Beethoven – nicht als Steinbruch und konstruktives Element dient, sondern als eine Gestalt, die in den Zuhörenden Erinnerungen wachruft und sie immer zur Geschichte und ihren beiden Hauptfiguren zurückführt. Sie können mitfühlen, warum nach der Erscheinung der geliebten Melodie auf dem Ball nichts mehr so ist wie zuvor ...
Schon in Beethovens »Pastorale« waren Landleben und die damit verbundenen Gefühle Dreh- und Angelpunkt einer Sinfonie – Berlioz kannte das Stück natürlich genau. Bei Beethoven aber geht der Mensch in der Natur auf: »Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande« heißt es zu Beginn, und später wird der:die Hörende zum Zentrum von Sturm, Donner und Blitz, bevor sich die dankbaren Gefühle des Finales regen. Hier aber bleibt das lyrische Ich isoliert und einsam, als Beobachter:in einer Idylle, die es nicht erreicht. Berlioz suggeriert eine Nähe zur Opernbühne, indem er bestimmt, dass das Instrument eines Hirten, eine Oboe, von »hinter der Bühne« erklingen soll. Das Ende des Satzes bestimmt wieder die Idée fixe: In düsteren Gedanken brütend bleibt der Held zurück. Kein:e andere:r Komponist:in hat in Wort und Musik den Kult des von der Welt verlassenen Helden so intensiv und dauerhaft betrieben.
Wieder eine formale Überraschung: Der Komponist präsentiert ein zweites, sehr grimmiges Scherzo – vierter Akt einer fünfaktigen Tragödie, wie sie auf dem Theater üblich war. Dieses war damals gerade in den Sog der schwarzen, phantastischen Romantik eines E. T. A. Hoffmann oder eines Lord Byron geraten. Mit der »Symphonie fantastique« kommt diese dunkelste Ausprägung der Romantik nun auch in der Musik an. Das Reich des Traums und der Dämonen – die Mittel, die noch in der Filmmusik des 20. Jahrhunderts für Gänsehaut sorgen sollten – finden sich in diesem Opiumrausch schon in reichem Maße. Der Held träumt (Träumt er wirklich? Siehe oben!), er habe seine Geliebte ermordet und würde dafür nun hingerichtet. Wie in Frankreich üblich: am Ende des Satzes mit dem Fallbeil (eines Paukenschlags …)
Das Gemisch, aus dem Berlioz seine Sinfonie gebraut hat, kocht in diesem dämonischen Finale über: Da sind die bereits erwähnten musikalischen Mittel, da ist die opernhafte Schreibweise, die wieder Instrumente »hinter der Szene« (nämlich die großen Glocken) vorsieht, da ist der Schwefelgeruch der schwarzen Romantik – und der am Ende hilflos seiner völlig durchgedrehten Idée fixe ausgelieferte Held. Berlioz mischt darüber hinaus musikalische und literarische Welten, indem er ketzerisch sein Hexen-Rondo mit der alten, gregorianischen »Dies irae«-Sequenz verquickt und, für den gebildeten Hörer seiner Zeit offensichtlich, die fantastische Szenerie der Walpurgisnacht aus Goethes »Faust« heraufbeschwört.
Tilmann Böttcher
Wir – das Beethovenfest Bonn – laden ein, in einem offenen und respektvollen Miteinander Beethovenfeste zu feiern. Dafür wünschen wir uns Achtsamkeit im Umgang miteinander: vor, hinter und auf der Bühne.
Für möglicherweise auftretende Fälle von Grenzüberschreitung ist ein internes Awareness-Team ansprechbar für Publikum, Künstler:innen und Mitarbeiter:innen.
Wir sind erreichbar über eine Telefon-Hotline (+49 (0)228 2010321, im Festival täglich von 12–20 Uhr) oder per E-Mail (awareness@beethovenfest.de).
Werte und Überzeugungen unseres Miteinanders sowie weitere externe Kontaktmöglichkeiten können hier auf unserer Website aufgerufen werden.
Das Beethovenfest Bonn 2025 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Julia Grabe
Lektorat:
Heidi Rogge
Die Texte von Tilmann Böttcher sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.