Beethovenfest-Intendant und diesjähriger Fellow des Thomas Mann House: Steven Walter blickt zurück auf seine Zeit in Pacific Palisades in Los Angeles und den anstehenden Panel-Talk mit ehemaligen und aktuellen Thomas-Mann-Fellows im Beethovenfest 2025.
Steven Walter über sein Thomas-Mann-Fellowship
»Das beste, was mit deutscher Sprache angestellt wurde.«

Das Eröffnungswochenende des Festivals liegt hinter Dir, das Beethovenfest unter dem Motto »Alles ultra« ist in vollem Gange. Wie lautet das erste Zwischenfazit?
Ich freue mich über ein wirklich ultra-intensives und schönes Eröffnungswochenende. Wir hatten zahlreiche besondere Veranstaltungen, die in ihrer Konzeption und Programmatik dem Motto gerecht wurden und sehr gut beim Publikum ankamen. Ich blicke gespannt auf die drei weiteren Wochen!
Du bist ein großer Fan von Thomas Mann. Wie kam es dazu, und welche Brücke schlägt sein Werk für Dich zur Musik?
Als ich 14 oder 15 Jahre alt war, las ich erstmals Tonio Kröger. Ich war beeindruckt, wie Thomas Mann mein damaliges Lebensgefühl in Worte fassen konnte! Seine Texte sind für mich das Beste, was mit deutscher Sprache bisher angestellt wurde – er hat die unglaubliche Fähigkeit, mit Sprache die menschliche Psychologie zu beschreiben. Seine Affinität zur Musik ist dabei omnipräsent in all seinen Werken. Ich kenne zum Beispiel keine besseren Musikbeschreibungen als bei Thomas Mann in »Doktor Faustus«.
Mich inspiriert aber auch das Künstlertum, das er gelebt hat: Einerseits führte er ein sehr spießiges Leben, andererseits positionierte er sich in den richtigen Momenten sehr klar. Diese drei Aspekte haben mich immer wieder zu Thomas Mann geführt.
Du warst Thomas-Mann-Fellow im Thomas Mann House in Los Angeles. Was steckt hinter der Idee dieses Fellowships?
Das Thomas-Mann-Fellowship im Exil-Haus der Manns ist ein Ort des transatlantischen Dialogs. Jedes Jahr versammelt es etwa 15 Fellows, von denen drei bis fünf gleichzeitig dort wohnen. Es geht um den Austausch in wissenschaftlicher, kultureller und medialer Hinsicht. Die Anlage des Programms ist sehr interdisziplinär und man trifft dort unglaublich spannende Persönlichkeiten. Ich hatte die Ehre, fast vier Monate als Thomas-Mann-Fellow in LA zu sein.
Wie gestaltete sich der Aufenthalt in Los Angeles: Hattest Du ein konkretes Projekt, an dem Du gearbeitet hast?
Mein Fellowship-Thema war die Vernetzung mit der amerikanischen Musikszene, insbesondere in Kalifornien. Ich organisierte zwei Hauskonzerte mit amerikanischen Musiker:innen zu Themen der zeitgenössischen Musik. Ansonsten bin ich viel durch das Land gereist und habe in verschiedenen Institutionen hospitiert, um zu sehen, wie die Amerikaner:innen mit Kultur umgehen. Es ist ein anderes unternehmerisches Umfeld für die Kultur, aber auch eine andere ästhetische Durchlässigkeit. Das war sehr inspirierend!
Thomas Mann kommentierte aus dem Exil immer wieder die politischen Geschehnisse in seiner Heimat in den 1940er-Jahren. Gab Dir der Aufenthalt in den USA eine neue Perspektive auf die politische und kulturelle Situation beider Länder?
Für mich war es zunächst sehr inspirierend, im Haus von Thomas Mann zu sein. Ich bin ein großer Fan, auch von seiner Zivilcourage. Er hatte aus Amerika heraus einen sehr klaren moralischen Kompass. Die aktuelle Situation ist interessant, weil es jetzt umgekehrte Vorzeichen gibt: In Amerika gibt es eine Regierung, die teilweise faschistoide Züge aufweist und hart errungene Freiheiten in Frage stellt, worunter die Kulturszene leidet. Das ist sehr interessant, im Austausch zu reflektieren, da es ähnliche Tendenzen auch in Deutschland und Europa gibt, wo freiheitlich-liberale Gesellschaftsstrukturen in Frage gestellt werden. In den USA erleben wir so etwas wie eine Vorlage, was passieren kann und wie sich die Kultur vielleicht wehren muss oder was wir daraus lernen können. Die transatlantische Brücke, der sogenannte Westen als Wertekonstrukt, wird immer wichtiger, obwohl er aus sich selbst heraus in Frage gestellt wird. Das müssen wir bekämpfen, und Thomas Mann selbst, aber auch Kultur im Allgemeinen, sind dabei sehr wichtige Faktoren.

Wie aktiv agiert die liberale Szene in den USA und wie beeinflusst die aktuelle Politik Kunst und Kultur?
Es gibt eine sehr resiliente und starke Zivilgesellschaft, die sich auch in der Kultur ausdrückt. Dennoch gab es nach der Wiederwahl von Donald Trump eine Art Schockstarre und Selbstsuche. Das Problem in den USA und vielleicht auch in Europa ist, dass die Ränder extrem geworden sind. Vielleicht ist die Kultur in den USA zu sehr in bestimmte Themen abgedriftet, die weit entfernt sind von der Lebensrealität vieler Menschen, besonders zwischen den Küsten. Es findet eine Selbstsuche statt, auch nach einer gewissen Mitte. Ich stelle also zwei Tendenzen fest: einen starken Widerstand, aber auch eine Selbstreflexion und Selbstkritik der liberalen Kulturszene.
Ein Teil Deines Fellowships fließt in das Beethovenfest ein: Am 5. September gibt es einen Paneltalk mit aktuellen und ehemaligen Fellows des Thomas Mann House. Kannst Du uns mehr über die Idee dieses Panels erzählen?
Es gibt zwei Aufhänger von Thomas Mann. Zum einen das vorletzte Kapitel vom »Zauberberg«, »Die große Gereiztheit«. Es beschreibt die Situation vor dem Ersten Weltkrieg, in der alle Menschen und Nationen gereizt aufeinander losgehen. Ein Zustand, der mitunter unserer heutigen gesellschaftlichen Situation entspricht. Zum anderen gibt es Thomas Manns berühmte Rede »Appell an die Vernunft« aus dem Jahr 1939 im Beethoven-Saal in Bonn. Eine sehr starke Rede gegen die damals aufstrebenden Nazis. Diese beiden Dinge, die auch einen aktuellen Bezug zum Beethovenfest haben, wollten wir aufgreifen, um aktuelle Fellows zu bitten, einen zeitgenössischen »Appell an die Vernunft« zu formulieren. Es wird vier bis fünf kurze Impulse geben, gefolgt von einem Austausch. Dazwischen: Musik von Beethoven, der Variationssatz aus Opus 131, der auch bei Thomas Mann eine große Rolle spielt. Es wird eine sehr spannende Auseinandersetzung im Geist Thomas Manns und Beethovens zur heutigen Situation!
Veranstaltung im Festival
- , Kreuzkirche
Thomas Mann Fellows
DiscourseAida Baghernejad, Prof. Dr. Friedhelm Marx, Dr. Nils C. Kumkar