Ensemble Resonanz
Ellen Ugelvik Klavier
Riccardo Minasi Dirigent
Clemens K. Thomas Idee & Dramaturgie
Letycia Rossi Raumkonzept Video-Vorproduktion
Evelina Dembacke Live-Video & Licht
28.8.– 27.9. 2025
Ensemble Resonanz
Ellen Ugelvik Klavier
Riccardo Minasi Dirigent
Clemens K. Thomas Idee & Dramaturgie
Letycia Rossi Raumkonzept Video-Vorproduktion
Evelina Dembacke Live-Video & Licht
Letycia Rossi & Ensemble Resonanz
Video-Intro
Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 »Pastorale«
I. Allegro ma non troppo (Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande)
II. Andante molto mosso (Szene am Bach)
III. Allegro (Lustiges Zusammensein der Landleute)
IV. Allegro (Gewitter und Sturm)
V. Allegretto (Hirtengesang. Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm)
verschränkt mit
Kristine Tjøgersen (*1982)
Konzert für Klavier, Live-Kamera und Kammerorchester
»Zu besserem Verständnis werde gesagt, dass wir uns in Beethoven einen Menschen vorzustellen haben, in welchem sich die äußere Natur völlig personifiziert hatte. Nicht ihre Gesetze, vielmehr die elementare Naturmacht hatte ihn bezaubert, und das einzige, was ihn in seinem wirksamen Genuss der Natur beschäftigte, waren seine Empfindungen.«
Diese Worte von Beethovens Biografen Anton Schindler charakterisieren zwar auch das Verhältnis des Komponisten zur Natur; sie skizzieren aber vor allem seine Arbeitsweise: Äußere Eindrücke lösen Empfindungen aus, die in Klänge übertragen werden. Dieser Ansatz ist zeitlos und gilt auch für Kristine Tjøgersens Konzert für Klavier, Live-Kamera und Kammerorchester von 2019. Unter dem Motto »Constructing Nature« verknüpft das Ensemble Resonanz beide Werke eng miteinander. Die fünf Sätze von Beethovens »Pastorale« werden mit Abschnitten aus Tjøgersens Klavierkonzert verschachtelt.
Beethovens Sinfonie Nr. 6, genannt »Pastorale«, steht in einer Tradition klingender Naturdarstellungen, die bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht. Wie die Natur musikalische Werke inspiriert hat, unterliegt einem steten Wandel – genau wie die Beziehung des Menschen zur Natur generell. Um 1800, in der Zeit Goethes und Schillers, individualisierte sich das Naturerlebnis und wurde mehr und mehr zum Mittel der Selbsterfahrung. Die Natur und ihre Stimmungen gerieten zur Projektionsfläche menschlicher Regungen und seelischer Zustände. So fügte Beethoven der äußerlichen Naturabbildung in der »Pastorale« eine zweite Realität hinzu: Die subjektive Wahrnehmung der Natur. Besonders deutlich wird diese Gratwanderung im zweiten Satz, der »Szene am Bach«. Wiegende Streicherfiguren symbolisieren das sachte Rauschen der Wellen, über denen sich sanft geschwungene instrumentale Gesänge entfalten. Der Fluss erscheint als Naturphänomen und als Metapher für das Leben selbst, das sich hier samt Vogelstimmen-Imitation von seiner angenehmsten Seite präsentiert.
Im dritten Satz tritt dann der Mensch auf. Ländliche Tänze mit groben, stampfenden Rhythmen und ›falschen‹ nachklappernden Einsätzen karikieren die derbe Ausgelassenheit der »Landleute«. Unterbrochen wird das »lustige Zusammensein« von bedrohlichen Naturgewalten, die im vierten Satz hereinbrechen und einen harschen Kontrapunkt zum lyrischen Grundton der »Pastorale« setzen.
»Wenn zwischen den Sätzen der Pastorale die Teile aus Tjøgersens Klavierkonzert erklingen, dann liegen zwischen den beiden Naturbildern zwar 211 Jahre und 1.270 km Luftlinie, aber beide Werke idealisieren die Natur. Sie bilden eine konstruierte Natur ab, in all ihrer Schönheit und Erhabenheit. Die Realität von menschengemachter Klimakrise, von Verlust von Lebensräumen, von Zerstörung: sie fehlt. Und gerade die Abwesenheit der Krise lässt sie uns spüren! Vielleicht sogar deutlicher, emotionaler. Die schöne, heile Welt ist schließlich eine Konstruktion des Menschen.«
– Der Dramaturg des Ensemble Resonanz Clemens K. Thomas über das Konzept
Kristine Tjøgersens Konzert für Klavier, Live-Kamera und Kammerorchester beginnt mit Reibegeräuschen auf den Klaviersaiten und abstrakten, verfremdeten Naturklängen. Im Sommer 2019 machte die Komponistin in einem Fichtenwald in Tjodalyng an der Südküste Norwegens zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten Audioaufnahmen, die sie anschließend verlangsamte und für Instrumente nachkomponierte.
Kristine Tjøgersen: »Die Klänge des sich verändernden Waldes und seiner Bewohner inspirierten mich zur Klangwelt des Konzerts – Geräusche von Insekten, Vögeln, Laub, Wasser und knarrenden Bäumen, aber auch Töne, die von menschlicher Präsenz im Wald zeugen. Dieses Material bildet rhythmisch, klanglich und strukturell die Basis des Stücks. Doch ich wollte auch musikalisch untersuchen, inwieweit wir die Vorgänge in der Natur vermenschlichen. Wie weit reicht unsere Sehnsucht, sie zu kontrollieren und uns selbst ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken?«
Die Solistin drapiert einen Miniaturwald auf den Saiten, was von einer Live-Kamera auf eine Leinwand projiziert wird. Das mutet naiv-spielerisch an, ist aber ein eindringliches Bild dafür, wie der Mensch sich ›seine‹ Natur einrichtet und gestaltet.
Clemens K. Thomas: »Die Pianistin als Demiurgin, als Schöpferin. Und wie hübsch diese kleinen Bäumchen in dem Flügel ausschauen! Wie bei Beethoven auch handelt es sich hier um eine idealisierte Natur. Tjøgersen bedient sich eines Kunstgriffs: Der Wald, der im Flügel aufgeforstet wird, ist eine Miniatur seiner selbst. Dieser Wald ist sichtbar menschengemacht und als solcher: harmlos. Er versteckt seine Gemachtheit nicht. Er zeigt sie: Seht her, mich gibt es nicht. Ich bin ein Produkt Eurer Fantasie!«
Geboren 1982 in Oslo. Sie studierte bei Carola Bauckholt und absolvierte ihren Master in Komposition an der Anton Bruckner Universität in Linz (Österreich). Außerdem machte sie ihren Master als Klarinettistin an der Norwegischen Musikakademie in ihrer Geburtsstadt. Ihre Werke werden international von renommierten Ensembles aufgeführt. Sie erhielt zahlreiche Stipendien, etwa 2019/20 an der Berliner Akademie der Künste. Ihr besonderes Interesse gilt der Interaktion von akustischen und visuellen Elementen.
Wie sich beide Ebenen wechselseitig beeinflussen, zeigt sich markant in ihrem Konzert für Klavier, Live-Kamera und Kammerorchester von 2019.
Musik und Video durchdringen sich: Als weiteres filmisches Mittel wird vor dem Konzert eine Video-Ouvertüre mit den Musiker:innen des Ensemble Resonanz zu sehen sein; das Setting stammt von Letycia Rossi.
Clemens K. Thomas: »Das Konzert ist eher als positive Annäherung an ein heutiges Arkadien zu verstehen – als moralische Kritik an der Naturzerstörung durch uns Menschen. Im Konzertsaal wird schließlich nicht die Realität kopiert, sondern ein Kunstraum erschaffen. Um das Publikum auf diese Kunst-Ebene zu bringen, zeigen wir in der Video-Ouvertüre unsere zeitgenössische Übersetzung eines Hirten-Idylls in Arkadien. Zwischen Plastikschafen, Moos und dezentem Bodennebel machen die Musiker:innen des Ensemble Resonanz gerade eine Pause auf einem Outdoor-Trip. Über das Video ist Musik gelegt: Auto-Tune-Vogelgesang und ein digital verflachter Pastorale-Remix.«
Geboren 1770 in Bonn, gestorben 1827 in Wien. Längst zählt er zu den berühmtesten Komponist:innen überhaupt. Seine Genialität war bereits zu Lebzeiten unbestritten. Vor allem mit der radikalen Ausdruckskraft seiner späteren Werke stieß er das zeitgenössische Publikum aber oft genug vor den Kopf. Ein Gehörleiden trug dazu bei, dass er das Leben als komponierender Klaviervirtuose hinter sich ließ und das Schöpferische in den Mittelpunkt rückte. Seine neun Sinfonien gelten als ein Gipfel der abendländischen Musikgeschichte.
»Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei« – mit diesem griffigen Ausspruch umschrieb Beethoven das Konzept seiner Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 »Pastorale« von 1807/1808.
Größer könnte der Kontrast zwischen dem Film und den Werken kaum sein, die in ihrer Verschachtelung neue und ungewöhnliche Klangräume hervorrufen. Jedes einzeln setzt sich bereits auf komplexe, mehrdimensionale Weise mit der Natur auseinander. So schwingt in Beethovens »Pastorale« in der tosenden Gewittermusik auch die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz angesichts des schicksalhaft Unvorhersehbaren mit. Ein Gewitter als Fingerzeig Gottes zu deuten, war aber schon in der Beethoven-Zeit nicht mehr selbstverständlich. Ein weiterer Aspekt: Die akustische Beschwörung der Natur verweist auf die Tragik, dass Beethoven zum Zeitpunkt der Komposition bereits an fortgeschrittener Ertaubung litt. Er konnte diese Natur hörend nur noch sehr eingeschränkt erleben.
Das gegenwärtige Verhältnis der Menschheit zur Natur, zu der sie selbst gehört, ist immer noch von Taubheit geprägt – trotz vieler warnender Stimmen und Geschehnissen. Kristine Tjøgersen beklagt das aber nicht, sondern lässt sich von den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Intelligenz und Vernetzung der Pflanzen anregen:
»Ein weiterer wesentlicher Faktor in dem Klavierkonzert ist meine Faszination für Bäume und ihre geheimnisvollen unterirdischen Kommunikationsgeflechte. Diese übertrug ich indirekt auf das Innenleben des Flügels. In beiden Bereichen gibt es noch viel zu entdecken.«
»Ich glaube«, so resümiert Clemens K. Thomas, »dass wir Kristine Tjøgersens Musik als post-humane Utopie hören können – also als Phantasie einer Welt, die nicht nur vom Menschen regiert wird. Es geht ihr nicht um Kritik an der Klimakrise oder am Verlust der Biodiversität. Aber was im Klavierkonzert dennoch steckt: Der Wunsch, gemeinsam die Schönheit der Natur zu erhalten – als schillernde und zugleich fragile Lebendigkeit und Farbigkeit.«
Egbert Hiller
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Das Beethovenfest Bonn 2025 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Julia Grabe
Die Texte von Egbert Hiller sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.