Beethoven: Sinfonie Nr. 2

Beethovens zweite Sinfonie ist so etwas wie ein »Geheimtipp«. Wie kommen wir gut in diese Sinfonie hinein? Wo können wir beim Hören andocken? Arno Lücker, Musikwissenschaftler, Pianist und Buchautor, nimmt uns im Listening Guide mit auf einen Kurztrip durchs Beethovens Zweite.

»Keiner Gesellschaft von Musiker:innen und Freund:innen der Kunst kann es gleichgültig seyn, dass endlich auch eine zweyte Sinfonie von Beethoven so eben erschienen ist.« So schrieb ein Rezensent 1804 über die zweite Sinfonie von Beethoven. Und in diesem Zitat ist das tatsächlich nur das Gendern neu, haha! Der Rest galt damals – und gilt bis in unsere Zeit hinein, wobei Beethovens Zweite heute selbstverständlich jeder und jedem bekannt ist – oder vielleicht doch nicht? Spätestens hier im Listening Guide können Sie das Werk kennenlernen.

Beethovens D-Dur-Sinfonie – unterbrochen von anderen Werken komponiert zwischen Sommer 1800 und Februar 1802 – erklingt beim diesjährigen Beethovenfest gleich zwei Mal! Die vom Komponisten selbst stammende Fassung für Klaviertrio hören Sie – gespielt vom jungen und preisgekrönten Trio Orelon – am 11. September. In voller sinfonischer Pracht erleben Sie das Werk am 23. September, interpretiert von der in Bonn 2023 von Pianist und Dirigent Fabian Müller gegründeten Trinity Sinfonia. In diese Sinfonie hineinzuhören lohnt also gleich doppelt! Die Hörbeispiele entnehmen wir einer Aufnahme mit dem Cairo Conservatory of Music Orchestra unter der Leitung von Iran Filev, die beim Beethovenfest 2007 entstand. Illustrationen bieten die fantasievollen Ölgemälde des italienischen Künstlers Tommaso de Meo, der die vier Sätze der Siebten in Farben und Formen porträtiert hat.

Die Sinfonie beginnt (Adagio molto – Allegro con brio) mit einem mächtigen, aber durchaus traditionellen Ausrufezeichen. Eine sehr kurze Note – gefolgt von einer langen. So fingen viele Jahrzehnte lang Opern-Ouvertüren an! Erstmal der Vorhang, dann der Rest. Eine langsame Einleitung, die wir so ähnlich auch beispielsweise aus einigen der Sinfonien Joseph Haydns kennen, dem wichtigsten Lehrer Beethovens. Das Tempo: noch ganz reduziert, Ohrwürmer: eher noch nicht zu finden. Schwere, Bedeutsamkeit. Die Oboen und die Fagotte spielen dann kurze Zeit alleine weiter. Demütig – und gar nicht mehr so selbstbewusst wie noch ganz zu Beginn.

Doch die Musik Beethovens ›wehrt‹ sich – ganz typisch für den Komponisten – gegen die Trauer, gegen die Schwere des Lebens, gegen das Gefühl, nichts und niemand zu sein! Hier will ein Individuum hinaus ins Leben, in die Freiheit – und raus aus der Unterdrückung, aus der Abhängigkeit von anderen Menschen. Verschiedene ›Schleifen‹ drehen sich durch die Einleitung, im Dialog der Streicher mit den Holzbläsern. Menschenmusik: sich aufbäumend.

Und frohgemut geht es dann weiter, hin zu dem Hauptteil des ersten Satzes, hin zum »Allegro con brio«, also »Lebhaft und mit Feuer«! Das Hauptthema hören wir in den tiefen Streichern – lebendig fortgesetzt von den ersten Violinen, die die ›Schleifen‹ der langsamen Einleitung ins Optimistische wenden. Hier der Übergang von der Nacht zum Licht (samt Hauptthema).

Ein bisschen Haydn, ein bisschen Mozart-»Zauberflöten«-Feeling. Doch auch ganz anders, ja, eigentlich sogar verstörend. Schon 1812 notierte ein Rezensent der »Allgemeinen Musikalischen Zeitung«, der dieser Musik noch skeptisch gegenüberstand: 

»Man ist an Haydns und Mozarts Werke gewöhnt, und darf sich nicht wundern, wenn diese seltnen Producte Beethovens, die sich so sehr von dem Gewöhnlichen entfernen, im Allgemeinen nicht immer ihre Wirkung auf den Zuhörer hervorbringen.« 

Besonders irritierend, dass diese Dur-Sinfonie immer auch ausführlichere Ausflüge in ein dunkles Moll unternimmt. Die Erinnerung an weniger schöne Zeiten. Der Mensch: noch in Zuständen der Unfreiheit und der Trübnis.

Natürlich soll der zweite Satz der Sinfonie (Larghetto) – rückblickend auf die Stürme des ersten Satzes – wie ein ›Gegenteil‹ wirken. Statt, wie noch beim Einstieg in die Sinfonie, ist die Besetzung hier ganz entschlackt. Nur die Streicher spielen. Das Ganze kommt einem vor wie ein melancholisches Lied. Doch schon nach neun Sekunden hört man in ganz engen Schritten die tiefen Streicher hinuntergleiten. Das ist ›nur‹ ein Übergang, aber er sagt uns: Die Welt ist (noch?) nicht in Ordnung – auch nicht in diesem schönen zweiten Satz!

Umso witziger, wuchtiger, dreister ist der dritte Satz (Scherzo. Allegro)! Die Gattungsbezeichnung »Scherzo« darf man wörtlich nehmen. Der Satz steckt voller Witze und Überraschungen. Wir hören immer drei Noten, einmal laut und einmal leise. Die leisen Takte wirken dabei wie verloren, wie versehentlich übriggeblieben. Dazwischen blasen die Hörner – sich selbst immer die Antworten gebend – zur lustigen Jagd.

Dazwischen wird es natürlich auch mal wieder ernst. Dinge in Moll passieren. Und das dreitönige Spiel-Material verwendet der King der witzigen Übergänge – sprich: Beethoven! – natürlich auch für Zwischenspiele, um so wieder zu diversen Ausgangspunkten zurückzufinden.

Auch der letzte Satz (Allegro molto) steckt voller Jokes! Wie zu Beginn der Sinfonie: ein Auftakt – hier aber gefolgt von lustigen Trillerspielchen und plötzlich herunterpurzelnden Tönen. Als hätte jemand eine schwere Kiste aus Jux fallengelassen (nachdem er gerade noch seinen Freunden beim Umzug eine lustige Grimmasse geschnitten hat). Und, ja klar: Diese motivischen Geschehnisse entpuppen sich als Teilstücke, als Puzzleteilchen von etwas Größerem! Das ist ›so‹ Beethoven!

Triumphal geht die Sinfonie schließlich ihrem herrlich schmissigen Ende entgegen. Die Auftakt-Jokes des Beginns sind aber bis kurz vor Schluss in die Musik eingebaut! Das ist nicht einfach ein Sinfonie-Schluss, das ist augenzwinkernde Meisterschaft von jemandem, der einmal benutzte Motive von Herzen gerne wieder verwendet, um das Publikum daran zu erinnern: Man trifft sich immer zwei Mal (oder häufiger) im Leben! Und: Mensch zu sein ist nun wirklich nicht immer so wahnsinnig schwer und traurig! Zumal, wenn man dabei ist, sich immer mehr seine eigenen Freiheiten zu erkämpfen …