Anders als Karl Amadeus Hartmann komponierten Bach, Brahms und Beethoven ihre Werke ohne politischen Druck und Repression. Hartmann wehrte sich zu Lebzeiten als überzeugter Sozialist und Antifaschist gegen das nationalsozialistische Regime in Deutschland. Er nahm zwar Stellung zum politischen Geschehen, verstand seine Kunst davon aber als weitgehend unbeeinflusst. Dennoch verunglimpfte die Öffentlichkeit seine Ästhetik und führte seine Werke nicht auf, was ihn dazu bewegte, sich aus dem Musikleben zurückzuziehen. In seiner vierten Sinfonie von 1947 verarbeitete der Komponist unter anderem sein erstes Streichquartett, das er 1933 komponiert und drei Jahre später in Genf zur Uraufführung gebracht hatte. Erste Fassungen der vierten Sinfonie entstanden bereits 1938. Seine Musik aus der Zeit des Nationalsozialismus kommentierte Hartmann entsprechend: »Wem meine Grundstimmung depressiv erscheint, den frage ich, wie ein Mensch meiner Generation seine Epoche anders reflektieren kann als mit einer gewissen schwermütigen Bedenklichkeit.« Ein Künstler, so Hartmann, »darf nicht in den Tag hineinleben, ohne gesprochen zu haben.« Hartmann ›spricht‹ in diesem Sinne auf subtile Weise innermusikalisch: So verarbeitet er vor allem im zweiten Satz Motive jüdischer Musik und verwebt sie mit dissonanter Harmonik. Dieser hörbaren und »gewissen schwermütigen Bedenklichkeit« des nichtjüdischen Hartmann stand zu dieser Zeit aber die zunehmend lebensbedrohliche Situation und existenzielle Angst jener gegenüber, die das Regime verfolgte und schließlich systematisch ermordete. Hartmanns privilegierter Situation und zugleich Wehrhaftigkeit verdanken wir Musik, die erstaunlich viel erzählt über gesellschaftliche Machtdynamiken, über das Zeug:in-Sein und Miterleben massivster sozialer und politischer Gewalt.
Gedenkkonzert: Karlrobert Kreiten
Do 7.9., 19.30 Uhr, Beethoven-Haus Bonn
Dokumentarisches Konzert
Ein großer Teil der Musik beim diesjährigen Beethovenfest stammt aus der Zeit vor 1933, welche die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht kannte. Auch diese Tatsache ist heute, besonders in Deutschland, als Phänomen interessant: Da denkt man auf einer abstrakten, individuellen und spirituellen Ebene über den Tod und das Vergehen nach, lässt sich von der Kunst vergangener Epochen berieseln und erinnert sich daran, dass die Welt schon einmal eine bessere war – als seien Vergänglichkeit und Tod vor allem etwas, das der Willkür einer höheren Macht unterstehe. Doch genauso sind es Menschen selbst, die dem Dasein anderer Menschen, sozialen Gefügen und nicht zuletzt sogar dem Gleichgewicht der Natur Schaden zufügen, ihm im schlimmsten Fall gar ein Ende setzen. »Tief gebückt und voller Reue«, im Sinne der Bachkantate BWV 199, wäre in einem zeitgenössischen Kontext nun nicht nur als Handlung Richtung Gott zu lesen, sondern als ein Appell zu einer Haltung gegenüber dem Anderen, der Anderen. Ein Optimismus angesichts der allem innewohnenden und zugleich menschlich verursachten Vergänglichkeit steht demnach auf wackeligen Beinen – 2023 mehr denn je. Für den menschlichen Anteil aber kann man nach dem Ende eines Konzerts, selbst mit teilweise jahrhundertealter Musik, aufstehen. Man kann den Saal verlassen. Und sich entscheiden, Verantwortung für dieses Leben zu übernehmen – egal zu welchem ›Soundtrack‹.