Bernhard Schimpelsberger Percussion
(Beethovenfest Fellowship)
vision string quartet
Florian Willeitner Violine
Daniel Stoll Violine
Sander Stuart Viola
Leonard Disselhorst Violoncello
28.8.– 27.9. 2025
Bernhard Schimpelsberger Percussion
(Beethovenfest Fellowship)
vision string quartet
Florian Willeitner Violine
Daniel Stoll Violine
Sander Stuart Viola
Leonard Disselhorst Violoncello
Maurice Ravel (1875–1937)
Streichquartett F-Dur op. 35
I. Allegro moderato. Très doux
II. Assez vif. Très rythmé
III. Très lent
IV. Vif et agité
Bernhard Schimpelsberger (*1983)
»Passages« für Percussion
Pause
Florian Willeitner (*1991)
»#Hashtags for String Quartet«
»#lydianrose«
»#newfolk«
Béla Bartók (1881–1945)
Streichquartett Nr. 4, arr. von Bernhard Schimpelsberger für Streichquartett und Percussion
I. Allegro
II. Prestissimo, con sordino
III. Non troppo lento
IV. Allegretto pizzicato
V. Allegro molto
Bernhard Schimpelsberger ist Multilingualist – nicht der Wortsprachen, sondern der Sprachen der Musik. Er ist ein wahrer Weltenwandler, ein interkultureller Kommunikator, der den Dialog zwischen nicht-westlichen Musiktraditionen und seinen europäischen Wurzeln sucht; hier beim Beethovenfest insbesondere Verbindungen zu westlich-klassischer Musik. Seine eigene Musiksprache ist die des Rhythmus, der Perkussion. Intensiv geschult in indischen Musiktraditionen und verschiedenen afrikanischen Musiken, verschmilzt Schimpelsberger diese zu einer individuellen Schlagzeugkunst.
Wie lassen sich verschiedene musikalische Sprachen zusammen und in Austausch miteinander bringen? Wie außereuropäische Rhythmen in westliche klassische Musik übersetzen? Diese Fragen erforschte Schimpelsberger im Rahmen seines Beethovenfest-Fellowships. Einen vorläufigen ›Forschungsstand‹ bringt er nun zusammen mit dem vision string quartet auf die Bühne. Der Abend lädt ein, das Verschmelzen von Kammermusik und Perkussion in Echtzeit zu verfolgen, Gemeinsamkeiten verschiedener Musiktraditionen zu entdecken. Sowohl das vision string quartet als auch Schimpelsberger sind einzeln zu hören, bevor sie am Ende des Abends gemeinsam Béla Bartóks Streichquartett Nr. 4 präsentieren.
»Ich sehe eine starke Verbindung zwischen klassischer Kammermusik und traditionellen Musiken weltweit, da diese in ähnlichen akustischen Rahmen stattfinden. In Indien, zum Beispiel, sitzt man zuhause, auf einem Teppich, trinkt Tee und spielt. Auch persische Musik wird zuhause im Wohnzimmer gespielt. Dem Flamenco hört man traditionell an einem Tisch oder an einer Bar sitzend zu.«
– Bernhard Schimpelsberger
Gemeinsamkeiten in der Aufführungspraxis bilden die Grundlage für Schimpelsberger, mit der Musik zu experimentieren. Die erste Herausforderung war sein eigenes Instrument. Das Schlagzeug ist laut. Wie kann es in einem kammermusikalischen, akustischen Kontext funktionieren – wie hier mit dem vision string quartet? Schimpelsberger hatte den Wunsch, sich besser in die akustischen Gegebenheiten einzufügen und leiser zu spielen. So perfektionierte er über die Jahre sein eigenes hybrides Perkussionsinstrument. An unterschiedlichen Trommeln fehlt es ihm nicht, auf seinen Reisen sammelt er stetig neue. Zudem baut er selbst Instrumente und Brush-Sticks (auch Besen genannt, die häufig über das Trommelfell gestrichen werden, um eine Art Rauschen zu erzeugen). Sein Set-up besteht nun aus einem Füllhorn der weltweiten Perkussion: Einer Udu-Tontrommel aus Nigeria. Einer Bechertrommel, genannt Djembe, aus West Afrika. Einer Rahmentrommel mit Schelle – der Kanjira – aus Südindien. Gongs aus China, Japan und Armenien. Tempelglocken aus Nepal. Dazu viele Naturklänge: Vogelstimmen aus Brasilien, Rasseln aus dem Amazonaswald sowie eine Mbira (Daumenklavier) aus Tansania. Und mehr!
Das Zusammenspiel unterschiedlicher Trommelklänge und Rhythmen machen Schimpelsbergers eigene Komposition »Passages« zu einer wahren Reise durch indische und afrikanische Kulturen – in etwa zehn Minuten. Dabei spielt Schimpelsberger mit Schlagzeugstöcken, filzbezogenen Schlägeln, seinen Händen und Fingern und rezitiert zusätzlich und virtuos die südindische Silben- und Rhythmussprache Konnakol.
Auch die Künstler des vision string quartet, Florian Willeitner, Daniel Stoll, Leonard Disselhorst und Sander Stuart, bewegen sich zwischen musikalischen Sprachen. Ihr Repertoire umfasst sowohl klassische Streichquartette als auch eigene Kompositionen, die sich in den Genres Folk, Pop, Rock, Funk und Minimal Music bewegen.
Sie eröffnen den Abend klassisch: mit Maurice Ravels einzigem Streichquartett in F-Dur, das 1904 uraufgeführt wurde. Insbesondere der zweite der vier Sätze ist, dem Abend entsprechend, ein rhythmischer ›Hinhörer‹. Er beginnt mit einem gezupften Thema, das von einem lyrischen, gestrichenen Thema kontrastiert wird. Manche hören in dem Zupf-Thema Ravels spanische Wurzeln, andere den Einfluss der javanischen Gamelanmusik. Da der Abend im Zeichen des Rhythmus steht: Achten Sie im zweiten Satz auch auf die polyrhythmischen Elemente, also mehrere gleichzeitig gespielte Rhythmen. Im dritten, langsamen Satz spielt Ravel mit verschiedenen Tempi. Im finalen, geradezu nervös-zitternden Satz ändern sich die Taktarten mehrere Male.
Anschließend springen wir – rhythmisch natürlich – in die Gegenwart. Violinist Florian Willeitners »#Hashtags for String Quartet« ist eine Sammlung kompositorischer Miniaturen, die jeweils von einem Sujet inspiriert sind. Dies kann ein Motiv, eine Stimmung, ein Stil oder eine Spieltechnik sein. Wie auch der Hashtag auf Social Media im besten Fall Meinungen anstößt, scheint Willeitner seine Miniaturen wie eine fortlaufende Auseinandersetzung mit neuen Trends, Strömungen und Ideen angelegt zu haben.
Aus dem Werk hat das vision string quartet für den heutigen Abend zwei Sätze ausgewählt. »#lydianrose« spielt mit dem lydischen Modus, einer Kirchentonart aus Mittelalter und Renaissance. Auch Bartók hat sie zuweilen benutzt und sich dabei von der ungarischen Volksmusik inspirieren lassen, in der sie oft vertreten ist. »#newfolk« hingegen verbindet klassische und nicht-klassische Elemente: ein Streichquartett basierend auf Motiven des Bluegrass.
Welches Werk für eine gemeinsame Neuinterpretation mit dem vision string quartet in Frage kommt, war für Schimpelsberger eine zentrale Frage. »Man muss sich die Musik natürlich auch aussuchen. Ich finde es schwieriger, mich in einen Mozart oder Beethoven zu integrieren, als in Bartóks Kompositionen des 20. Jahrhunderts, die sehr viel pulsierende Rhythmik haben, an die ich anknüpfen kann. Im Streichquartett Nr. 4 gibt es einige Momente, die sich einfach für Perkussion anbieten. Außerdem schöpft Bartóks Musik aus der osteuropäischen Volksmusik, deren Fundament der Rhythmus ist.«
Eine ausgefeilte Rhythmik spielte in der klassischen Musik bis ins 20. Jahrhundert hinein eine untergeordnete Rolle und diente primär der Verzierung und Tonmalerei. Hier setzt auch Schimpelsberger an. Allerdings agiert seine Perkussion nun gleichberechtigt mit den Streichern des vision string quartet. Er akzentuiert Bartóks Musik und stellt sie dadurch in einen neuen Kontext, denn in Kombination mit neuen Rhythmen hören sich auch bestehende Melodien anders an. Das Streichquartett Nr. 4 ergänzt er an vielen Stellen mit Naturklängen und hebt dadurch Bartóks Inspirationen hervor: die Natur und Volksmusik. Das hört man im zweiten Satz, der wie ein Bienenstock klingt. Oder im dritten, der die Ruhe eines Waldes mit rauschenden Blättern ausstrahlt. Der fünfte Satz hingegen ist – Bartók war seiner Zeit voraus – purer Rock!
»Es ist mein Wunsch, das Streichquartett zu ergänzen, eine Art fünftes Element zu werden,« erzählt Schimpelsberger über seine Zusammenarbeit mit dem vision string quartet. »Es geht mir um viel mehr, als bestehende Kompositionen mit einem Beat zu unterlegen. Ich möchte einen Dialog zwischen musikalischen Traditionen und Sprachen schaffen, Bartók in einem neuen Gewand erstrahlen lassen und Zuhörer:innen zum Wippen und vielleicht sogar innerlichen Tanzen bewegen, denn Bartók groovt ordentlich!«
Ein Streichquartett, das sind einerseits vier individuelle Musiker:innen, die gemeinsam als ein Organismus agieren, andererseits bezeichnet der Begriff eine Kompositions-Gattung. Letztere dient seit Jahrhunderten als Messlatte für Komponist:innen und Musiker:innen, um ihr Können zu beweisen. Wie findet Schimpelsberger als Perkussionist da Anschluss? »Ich möchte meine Sprache erweitern. Die Zeit- und Rhythmusauffassung ist in außereuropäischer Musik sehr metrisch, sie lebt also vom regelmäßigen Beat. In der klassischen Musik hingegen ordnet sich der Puls der Melodie unter. Das Metrum bleibt nicht konstant gleichmäßig, sondern kann schneller und langsamer werden, je nach melodischer Gestalt. Mein Begriff dafür ist ›fluid time‹. Dieses Verharren, Dehnen eines Pulses ist mit einem Perkussionsinstrument natürlich sehr schwierig umzusetzen, aber genau damit experimentiere ich. Kann ich einen Beat dehnen, ohne dass Energie verloren geht?«
Rhythmus ist eine Sprache und Bernhard Schimpelsberger ihr Übersetzer zwischen den Kulturen. Seine Vision ist eine musikalische Multilingualität, die einen mühelosen Dialog ermöglicht. Es braucht Sensibilität, ein Wissen um verschiedene Sprachen und die Fähigkeit, zuzuhören. Wie auch in der Sprache der Worte. Doch die steckt, insbesondere im interkulturellen Dialog, in tiefer Krise. Vielleicht würde es helfen, wenn wieder mehr Menschen auf den Rhythmus ihrer Worte achten würden und nicht nur auf ihre Melodie.
Text: Marthe Lisson
Wir – das Beethovenfest Bonn – laden ein, in einem offenen und respektvollen Miteinander Beethovenfeste zu feiern. Dafür wünschen wir uns Achtsamkeit im Umgang miteinander: vor, hinter und auf der Bühne.
Für möglicherweise auftretende Fälle von Grenzüberschreitung ist ein internes Awareness-Team ansprechbar für Publikum, Künstler:innen und Mitarbeiter:innen.
Wir sind erreichbar über eine Telefon-Hotline (+49 (0)228 2010321, im Festival täglich von 12–20 Uhr) oder per E-Mail (awareness@beethovenfest.de).
Werte und Überzeugungen unseres Miteinanders sowie weitere externe Kontaktmöglichkeiten können hier auf unserer Website aufgerufen werden.
Das Beethovenfest Bonn 2025 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Julia Grabe
Die Texte von Marthe Lisson sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.