Stephan Genz Bariton
Eric Schneider Klavier
5.9.-3.10. 2024
Stephan Genz Bariton
Eric Schneider Klavier
Gustav Mahler (1860–1911)
Aus »Des Knaben Wunderhorn«:
»Revelge«
»Tamboursg’sell«
»Lied des Verfolgten im Turm«
Franz Schubert (1797–1828)
»Der Pilgrim« D 794
»Wie Ulfru fischt« D 525
»Hoffnung« D 637
»Sehnsucht« D 636
»Die Bürgschaft« D 246
Hanns Eisler (1898–1962)
»Sonett über Schillers Gedicht ›Die Bürgschaft‹«
Hanns Eisler
Aus »Hollywooder Liederbuch«:
»Fünf Hollywood-Elegien«
I. »Unter den grünen Pfefferbäumen«
II. »Die Stadt ist nach den Engeln genannt«
III. »Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen«
IV. »Diese Stadt hat mich belehrt«
V. »In den Hügeln wird Gold gefunden«
»Dir auch wurde Sehnsucht nach der Heimat tödlich«
»Der Kirschdieb«
Hunderte europäische Kunstlieder singen vom Fremdsein in der Welt, von der Unbarmherzigkeit des Todes und bisweilen auch des Lebens. Mit Ohren von Heute offenbaren sich in den Werken von Gestern neue Facetten in den bekannten Motiven – wie etwa die Bedrohlichkeit der Naturgewalten, mit denen Franz Schuberts Figuren in existenziellen Notlagen konfrontiert sind. Gespenstisch heutig auch die düstere Seite des Soldatentums, die Gustav Mahler in Töne setzte. Fühlte Mahler sich »dreifach heimatlos: als Böhme unter den Österreichern, als Österreicher unter den Deutschen und als Jude in der ganzen Welt«, so erfährt man aus den Hollywooder Liedern Hanns Eislers – erst nach Amerika, dann wieder aus Amerika vertrieben – einiges über die Unwirtlichkeit der Orte, von denen man sich Zuflucht erhofft.
Der Komponist Gustav Mahler starb 1911 mit nur 50 Jahren. Er erlebte also nicht mehr, dass 1914 die Ermordung des etwa gleich alten österreichisch-ungarischen Thronfolgers Europa in den Ersten Weltkrieg stürzte. Die damals verbreitete, von jahrelanger Aufrüstung begleitete Überzeugung, in einen leicht zu gewinnenden, kurzen Krieg zu ziehen, ist in ihrer romantisierenden Naivität heute kaum noch zu begreifen. Die Vorboten der Kriegsbereitschaft in seiner Heimat und den angrenzenden Staaten konnte Mahler fast ein Leben lang bezeugen – für die Klangwelt des Komponisten hatte das tiefgreifende Bedeutung. Von Kleinkindtagen an lebte Mahler in Iglau, zwischen Wien und Prag gelegen. Wenn auch keine große Stadt, war Iglau ein wichtiger Garnisonsstützpunkt in einer Region mit langen Grenzen zum konfliktfreudigen deutschen Bündnispartner. Der Musik der Militärkapellen, das Exerziergeschehen, die Signale der Morgen- und Abendappelle waren in Mahlers Kindheit allgegenwärtig und sind – stilisiert, transformiert – mit Marschrhythmen, Fanfarenmotiven und perkussiven Elementen in seinen Personalstil eingegangen.
Rund ein Fünftel von Mahlers Liedern greifen auf Texte mit militärischen Motiven zurück – vor allem auf Volksdichtungen aus jenen Sammlungen, die Achim von Arnim und Clemens Brentano Anfang des 19. Jahrhunderts als »Des Knaben Wunderhorn« herausgegeben hatten. Im Kontrast zum verherrlichenden Stolz seiner Umwelt zeichnet Mahler eine Sphäre des Soldatentums, die gezeichnet ist von Zwang und Verzweiflung. In der 1899 entstandenen »Revelge« marschiert eine Kompanie noch über den Tod hinaus; im »Tamboursg’sell« von 1901 kann der Verurteilte sich nur für Momente gegen seine Hinrichtung auflehnen. Über das Schicksal des Verfolgten im Turm im gleichnamigen Dialoglied von 1898 kann man lediglich spekulieren; dass es aber kein glückliches sein kann, verrät freilich die Musik. Während der Gefangene die besungene Freiheit auch im musikalischen Impetus behauptet, sind die Wunschbilder, die sein an der Kerkertür trauerndes Mädchen in tröstend liedhaften Tönen evoziert, unerreichbar weit entfernt.
»Dem Rhythmus dieses Liedes [Revelge] musste nichts weniger als der 1. Satz meiner III. [Sinfonie] als eine Studie vorausgehen; ich hätte es ohne das nicht machen können, und in gewissem Sinne enthält dieses kurze Lied alles von mir, wie ein Baumquerschnitt die ganze Entwicklung und das ganze Leben des Baumes aufweist.«
– Gustav Mahler (aus den Erinnerungen Natalie Bauer-Lechner an Mahler)
Die anonymen »Wunderhorn«-Texte waren für Mahler auch deshalb bestens geeignet, weil er die Volksdichtungen deutlich freier handhaben, kürzen und umstellen konnte, als er es sich bei ›hoher‹ Literatur zugestand. Franz Schubert hingegen schöpfte aus dem Vollen der heimischen Bibliothek: Von Aischylos und Petrarca über Goethe und Claudius bis zu bekannten Zeitgenossen wie Novalis und Heine scheute der Komponist die großen Namen nicht. Doch manche seiner Vertonungen sicherten auch Dichtern Nachruhm, die heute womöglich vergessen wären. Das gilt für Wilhelm Müller (den Autor der »Winterreise«) ebenso wie für Schuberts Freund und zeitweiligen Mitbewohner Johann Mayrhofer.
Eine besondere Affinität zu Friedrich Schiller zeigt sich nicht nur in der hohen Zahl von Gelegenheiten, bei denen Schubert zu den Texten des Dichters griff. Sie spiegelt sich auch darin, dass nicht nur einige der ersten, sondern später auch einige der letzten Lieder Schuberts auf Schiller basieren. Schillers Wort, dass Hoffnung »kein leerer, kein schmeichelnder Wahn« sei, sondern ein Fingerzeig auf die höhere Bestimmung des Menschen, mag man auch in der Ballade »Die Bürgschaft« verwirklicht sehen. Als junger Wiener im Wirkungskreis der Befreiungskriege von heroischen Sujets begeistert, hatte Schubert sich bereits mit Schillers umfänglicher Ballade »Der Taucher« beschäftigt, als er im August 1815 die Vertonung der »Bürgschaft« in Angriff nahm; im Jahr darauf begann er auch ein nie vollendetes Singspiel auf Basis der dramatischen Erzählung.
»Gleichwie der Frühling die Erde erschüttert, um ihr Grün, Blüthen und milde Lüfte zu spenden, so erschüttert und beschenkt den Menschen das Gewahrwerden seiner productiven Kraft […]. Dieses Grundgefühl, und die Liebe für Dichtung und Tonkunst machten unser Verhältniß inniger; ich dichtete, er [Schubert] komponierte, was ich gedichtet, und wovon Vieles seinen Melodien Entstehung, Fortbildung und Verbreitung verdankt.«
– Johann Mayrhofer
Der idealistische Überschwang von Schillers Ballade inspirierte schon dessen Zeitgenossen zu Parodien. Bertolt Brecht reiht sich ein mit einem der literaturkritischen Sonette, die er zwischen 1933 und 1940 verfasste; zwei davon setzte Eisler als op. 54 in Töne. Was wäre das für eine schöne Welt, in der statt des Beharrens auf Schuld und Rache Werte wie Loyalität, Rücksicht und Augenmaß das Miteinander bestimmen! Doch die Realität sah und sieht anders aus. In den Kollaborationen von Brecht und Eisler, die im Berlin um 1930 ihren Anfang nahmen, war Musik ein Vehikel, diese Weltsicht zu kommunizieren. Der Komponist, der in den 1920er-Jahren in Wien zu Schönbergs Meisterschülern zählte, sah es später durchaus kritisch, so untrennbar mit politischem Aktivismus verbunden zu sein: »Man redet von mir als Propagandisten, als Verbündetem der Arbeiterklasse, als Kommunisten – von Musik ist schon lange nicht mehr die Rede.«
Als Jugendlicher war Hanns Eisler selbst Soldat im Ersten Weltkrieg; nach 1933 begab er sich ins Exil, ebenso wie Brecht »öfter als die Schuhe die Länder wechselnd«, bis beide sich Anfang der 1940er-Jahre in Hollywood wiedertrafen. Wenngleich Eisler als gefragter Filmkomponist seine Existenz sichern konnte, ging ihm die kapitalistische Maschinerie der Filmindustrie an die Substanz: »Für mich ist es hier eine Hölle der Dummheit, der Korruption (einer wahrlich unbeschreiblichen!) und der Langeweile.«
Die über 40 Lieder, die Eisler 1942 und 1943 wie eine »seismografische Aufzeichnung eines Kulturschocks« (Theodor W. Adorno) komponierte und in einer losen Sammlung als »Hollywooder Liederbuch« zusammenfasste, waren ebenso Zeitvertreib wie ein Dialog mit der Kunstliedtradition der alten Heimat. Einige Texte fand der Komponist bei Goethe, Eichendorff, Hölderlin und dem griechischen Lyriker Anakreon; die meisten Gedichte aber stammen von Brecht. Seine lakonischen Beobachtungen des amerikanischen Marktes stecken voll beißender Anklagen.
Nicht so »Der Kirschdieb«, eine 1938 im dänischen Exil skizzierte Momentaufnahme eines Obstdiebstahls. Das Lied bewahrt sich seine Leichtigkeit durch Vorenthaltungen: Ist der junge Dieb ein Mensch, der bald vom Kriegsdienst verschlungen wird? Oder ein erfolgreich Geflüchteter? In jedem Fall scheint eines dem oder der Kirschbaumbesitzenden, trotz aller Störung der eigenen Bequemlichkeit, völlig fremd zu sein: Neid oder Missgunst darüber, dass ein hungriger Fremder mit beiden Händen ins Leben zu greifen wagt. Auf einem der Manuskripte des »Hollywooder Liederbuchs« hat Eisler später treffend notiert: »In einer Gesellschaft, die ein solches Liederbuch versteht und liebt, wird es sich gut und gefahrlos leben lassen. Im Vertrauen auf eine solche sind diese Stücke geschrieben.«
»In diesem trübsinnigen ewigen Frühling von Hollywood sagte ich Brecht […]: ›Das ist der klassische Ort, wo man Elegien schreiben muß.‹ Das war die entsetzliche Idylle dieser Landschaft [...]. Brecht beklagte sich auch gesundheitlich. Es wäre ihm alles zu lau und zu milde [...] und diese ewige Blumenblüherei wäre überhaupt schon zum Kotzen. Kurz und gut, er war bitterlich, er war ganz verbittert darüber. Und das führte eben auch zu diesem ganz knappen und konzisen Stil als Gegengift.«
– Hanns Eisler
Text: Diane Ackermann
Stephan Genz wurde 1973 in Erfurt geboren. Seine musikalische Ausbildung erhielt er als Mitglied des Leipziger Thomanerchors. Er studierte an der Hochschule für Musik Leipzig und an der Hochschule in Karlsruhe. Gleichzeitig arbeitete er mit Dietrich Fischer-Dieskau und mit Elisabeth Schwarzkopf, die ihn über mehrere Jahre betreute.
Stephan Genz gewann zu Beginn seiner Karriere Preise bei verschiedenen internationalen Wettbewerben. Seither führen ihn Gastverträge an rennommierteste Opernhäuser weltweit. Er arbeitete mit Kent Nagano, Kurt Masur, Myung-Whun Chung, Daniel Harding, Philippe Herreweghe, René Jacobs, Fabio Luisi und Nikolaus Harnoncourt. Seit seinem erfolgreichen Debüt in der Wigmore Hall London gibt er Liederabende in den bedeutenden Musikzentren der Welt. Über 50 CD-Einspielungen dokumentieren das breit gefächerte Repertoire des Sängers. Seit 2012 ist Stephan Genz Professor für deutsches Repertoire am Conservatoire National de Paris. An der Universität Mozarteum Salzburg ist Stephan Genz seit 2020 Professor für Lied und Oratorium.
Aus dem Bergischen Land stammend, studierte Eric Schneider Klavier und Mathematik in Köln. Nach ersten Wettbewerbspreisen und Auftritten als Solist entdeckte er seine Begeisterung für Lied und Kammermusik. In der Folge setzte er seine Ausbildung mit einem Studium der Liedbegleitung bei Hartmut Höll fort. Wegweisen-de Impulse erhielt er von Paul Badura-Skoda, Alfred Brendel und Dietrich Fischer-Dieskau. Besonderen Dank schuldet er Elisabeth Schwarzkopf für ihren stilbildenden Unterricht. In den 1990er-Jahren absolvierte er in Berlin eine Ausbildung in Orchesterdirigieren bei Rolf Reuter.
Unter seinen zahlreichen CD-Veröffentlichungen als Liedbegleiter waren »Winterreise« und »Apparition« mit Sopranistin Christine Schäfer, »Die Schöne Müllerin« und »Wanderers Nachtlied« mit Bariton Matthias Goerne, sowie »Sirènes« und »Behind the Lines 1914–2014« mit Sopranistin Anna Prohaska. Eine Solo-CD enthält Werke von Leoš Janáček, Ludwig van Beethoven und Robert Schumann. Eric Schneider lebt in Berlin und unterrichtet dort Lied an der Universität der Künste.
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Das Beethovenfest Bonn 2024 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Noomi J. Bacher
Die Texte von Diane Ackermann sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.