hr-Sinfonieorchester
Sitkovetsky Trio
Alexander Sitkovetsky Violine
Isang Enders Violoncello
Qian Wu Klavier
Ivan Repušić Dirigent
5.9.-3.10. 2024
hr-Sinfonieorchester
Sitkovetsky Trio
Alexander Sitkovetsky Violine
Isang Enders Violoncello
Qian Wu Klavier
Ivan Repušić Dirigent
Dora Pejačević (1885–1923)
Ouvertüre d-Moll op. 49
Ferran Cruixent (*1976)
»Trinity«, Konzert für Violine, Violoncello, Klavier und Orchester (Uraufführung, Kompositionsauftrag des Sitkovetsky Trio)
I. Vidi Aquam (I saw water)
II. Cosmic Beethoven
III. Wild Rondo
Pause (ca. 25 Minuten)
Antonín Dvořák (1841–1904)
Sinfonie Nr. 8 G-Dur op. 88
I. Allegro con brio
II. Adagio
III. Allegretto grazioso – Molto vivace
IV. Allegro ma non troppo
Jedes der drei Werke im heutigen Konzert ist auf seine Weise ein Fest. Der Vorhang hebt sich mit einer kurzen, brillanten Ouvertüre von Dora Pejačević, der bedeutendsten kroatischen Komponistin des frühen 20. Jahrhunderts.
Es folgt, als Auftragswerk des Sitkovetsky Trio, eine Uraufführung des katalanischen Zeitgenossen Ferran Cruixent: »Trinity« für Klaviertrio und Orchester verbindet höchste spielerische Virtuosität mit spirituellem Gedankengut und moderner Smartphone-Technologie.
Am Ende steht mit Antonín Dvořáks achter Sinfonie ein Schlüsselwerk der romantischen Sinfonik – eine festliche und poetische Musik, mit der sich Dvořák für die Prager Akademie der Wissenschaften und Künste bewarb.
Die Musikgeschichte ist ungerecht. Anders lässt sich kaum erklären, dass viele Komponist:innen der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg erst Jahrzehnte nach ihrem Tod wiederentdeckt wurden. In den 1980er-Jahren schien die Zeit dann reif für einen vorurteilsloseren Blick auf die Musik eines Zemlinsky, Korngold, Schreker oder Schulhoff, die nach dem Zweiten Weltkrieg fast vergessen waren – verdrängt von einer radikalen Moderne, die mit der Ausdrucksmusik früherer Zeiten nichts mehr anfangen konnte.
Ähnlich erging es der kroatischen Komponistin Dora Pejačević. Zu Lebzeiten wurde sie relativ häufig aufgeführt und von der Presse meist hoch gelobt. Nachdem sie mit nur 37 Jahren 1923 nach der Geburt ihres Sohnes an einer Sepsis gestorben war, wurde sie allmählich vergessen. Eine 1982 erschienene Biografie machte im damaligen Jugoslawien wieder auf sie aufmerksam. Doch erst die Aufführungen und Einspielungen der letzten Jahre haben die überfällige Renaissance der Komponistin eingeleitet.
Geboren wurde Pejačević 1885 im Königreich Kroatien und Slawonien, einem autonomen Teil des Habsburgerreiches. Die »Komtesse«, wie sie in Kritiken genannt wurde, stammte aus slawonischem Adel, was ihr die spätere Karriere erleichterte: Ihr Vater war ein hoher Beamter, ihre Mutter eine ungarische Baronin, dabei ausgebildete Sängerin und Pianistin. Dieses Musikinteresse und die gut sortierte Bibliothek im elterlichen Schloss Našice prägten Pejačevićs Jugend. 1902 bekam sie in Zagreb ersten Musikunterricht und ging 1907 nach Dresden zum Studium beim Engländer Percy Sherwood (Komposition) und beim bedeutenden niederländischen Geiger Henri Petri.
In der kurzen Zeit, die ihr blieb, komponierte Pejačević vor allem Klavierstücke, Kammermusik und Lieder – darunter einige zu Texten ihrer Freunde Karl Kraus und Rainer Maria Rilke. Der Stil ihrer wenigen Orchesterwerke erinnert an den romantisch überschwänglichen Ton der jungen nationalen Schulen in Osteuropa. Das zackige Thema der Ouvertüre op. 49 könnte durchaus von regionalen Melodien inspiriert sein. Als Kontrast dient eine schwärmerisch sich aufschwingende Melodie, doch nach knapp sechs Minuten ist das Werk schon vorübergezogen wie die Vision eines opulenten Fests.
»Wie kann ein Orchester mit Menschen, die 200 oder 300 Jahre alte Instrumente spielen, zum 21. Jahrhundert in Beziehung treten?« Vor einer Aufführung von Ferran Cruixents Orchesterstück »Cyborg« in Detroit formulierte der Dirigent Leonard Slatkin die brisante Frage, die viele Komponist:innen unserer Zeit umtreibt: Gibt es eine Verbindung zwischen dem seit zwei Jahrhunderten nahezu unverändert bestehenden Orchester und den modernen Technologien, die unseren Alltag mehr und mehr bestimmen?
Natürlich gab es in den letzten Jahrzehnten immer wieder Versuche, dem Orchester durch die Vernetzung mit elektronischer Musik neue Klangwelten zu erschließen. Ferran Cruixent aber interessiert nicht so sehr der Aufwand von komplizierten computergesteuerten Apparaturen, sondern der Mikrokosmos des Smartphones, das wir mittlerweile (fast) alle als Kommunikations- und Speichermedium nutzen. In vielen seiner Werke fordert er die Musiker:innen auf, vorprogrammierte Audio-Dateien auf ihr Handy zu laden und währen der Aufführung an bestimmten Stellen abzuspielen. »Cybersinging« nennt er dieses Verfahren, das auch in seinem neuen Stück »Trinity« für Klaviertrio und Orchester eine ganz eigentümliche Mischung zwischen real produzierten und synthetischen Klängen erzeugt.
Dabei ist der 1976 geborene Ferran Cruixent kein Freund technischer Spielereien. Er selbst bezeichnet sich als spirituellen Menschen und hat sich neben seinen Musikstudien in Barcelona (u. a. bei der namhaften Pianistin Carme Vilà) und München (beim Komponisten Dieter Acker) immer auch mit religiösen und philosophischen Fragestellungen beschäftigt. Im Fall von »Trinity« bezieht er sich auf die Lehre des Religionsphilosophen Raimon Panikkar (1918–2010), einen Vorkämpfer des interreligiösen Dialogs.
Im Zentrum von Panikkars Denken steht die Ganzheitserfahrung von Gott, Mensch und Kosmos als gleichwertige, aufeinander bezogene Dimensionen. »Nur wenn wir all diese Werte berücksichtigen, kann es eine wahre Demokratie unter den Menschen geben«, schreibt Cruixent im Vorwort seiner Partitur – und stellt damit einen direkten Bezug zum Motto des Beethovenfests her. Gott, Mensch und Kosmos hat er je einen Satz von »Trinity« gewidmet. Der erste Satz symbolisiert die göttliche Mystik und Ekstase. Hier zitiert er den katholischen Pfingsthymnus »Vidi aquam« (»Ich habe Wasser gesehen«) und das vedische Mantra »Om Vam Varunaya Namah« für Varuna, die Göttin des Wassers – eine doppelte Verneigung vor der Person Panikkars, der Sohn einer katalanischen Mutter und eines hinduistischen Vaters war.
Der Mensch ist Thema im zweiten Satz, mit einem direkten Bezug auf eine Cellomelodie im langsamen Satz von Ludwig van Beethovens »Tripelkonzert«. Als Finale hat Cruixent ein »wildes Rondo« komponiert, das ein bedrohliches Ungleichgewicht zwischen Mensch und Kosmos symbolisiert.
Auch wenn sich der Titel »Trinity« also nicht auf die christliche »Dreieinigkeit« bezieht, steht die Zahl Drei in vielfacher Hinsicht im Zentrum des Werks. In drei Sätzen treten die drei Instrumente Violine, Violoncello und Klavier in einen Dialog mit dem Orchester; Motive mit drei Tönen spielen eine wichtige Rolle. Und wie in den meisten seiner Stücke verbindet Cruixent eine reiche, fantasievolle Klanglichkeit mit instrumentaler Spielfreude und Virtuosität.
Michael Struck-Schloen: Spielt die wechselvolle Geschichte Ihrer Heimat Katalonien für Ihre Musik ein Rolle?
Ferran Cruixent: Eigentlich nicht, das wäre für mich eine zu enge Perspektive. Ich beobachte lieber die Menschen im Allgemeinen, ohne mich auf eine Nation zu beschränken. Mich interessieren die Werte, die uns als Menschen vereinen. Und ich finde, dass die Konzentration auf das Nationale letztlich vom Wichtigsten im Leben ablenkt: die Liebe, der Verstand, das Spirituelle.
MSS: Wie kamen Sie zum Komponieren?
FC: Ich habe ein absolutes Gehör, und damit habe ich schon als Kind die Umgebung von Barcelona musikalisch wahrgenommen: das jaulende Glissando der U-Bahn, wenn sie in die Station einfährt, den Dopplereffekt einer Polizeisirene. Daraus habe ich dann bei meinen Improvisationen Melodien gemacht. Später habe ich in Basel und in der Fundació Miró ein Projekt über den Stadtklang von Barcelona vorgestellt, unter dem Titel »Urban Surround«.
So richtig bewusst war mir als Kind natürlich nicht, was ich da mache. Aber meine Eltern haben offenbar ein besonderes Potenzial gesehen und mir eine Musikausbildung am Konservatorium ermöglicht. Sie haben nie verlangt, dass ich einen Beruf ergreife, nur um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Sie haben mir im Gegenteil erlaubt, meinen Traum zu leben. Ich konnte mein Leben der Musik widmen, ganz ohne Druck – das war in unserer Gesellschaft eine Ausnahme!
MSS: Was bedeutet »neue Musik« heute für Sie?
FC: Ich habe in München übrigens auch Filmmusik studiert – aber das war mir dann stilistisch zu plakativ, und man hat viel weniger Freiheiten als bei der Konzertmusik. Für mich hat heute komponierte Musik auf einer philosophischen Ebene die Aufgabe, die Aspekte der Gesellschaft zu zeigen, die durch das hektische Tempo des Lebens, dem wir ausgesetzt sind, verdeckt werden. Das bedeutet für mich eine Art Suche nach den tiefsten und spirituellsten Dimensionen im Menschen – daneben aber auch ein klares Bekenntnis zum Moment, in dem wir gerade leben. Kunst muss engagiert und irgendwie auch visionär sein. Aber auch attraktiv!
MSS: Sie betonen gern die spirituelle Seite von Musik. Andererseits haben Sie ja ein ausgesprochenes Interesse für moderne Technologien – Stichwort: »Cybersinging«. Wollen Sie die Musiker:innen zu Avataren machen?
FC: Nicht ganz – aber ich interessiere mich einfach sehr für die Beziehung zwischen Mensch und Technik. Durch Technik haben wir die Medizin verbessert – mein Vater konnte dadurch nach einem Hirnschlag geheilt werden –, und letztlich ist das Smartphone eine Erweiterung unseres Gehirns. Ich habe überlegt, wie man das in der Musik abbilden kann. Beim »Cyber-Gesang«, den Sie erwähnt haben, verwenden die Interpretierenden ihre eigenen Mobiltelefone, um von mir vorbereitete Audiodateien abzuspielen. Ich halte das für eine neue Möglichkeit der Interaktion zwischen Interpret:in und Komponist:in jenseits der Partitur.
Einen großen Einfluss hatte auf mich das »Cyborg Manifesto« der US-amerikanischen Feministin und Philosophin Donna Haraway. In meinem sinfonischen Werk »Cyborg« habe ich 2009 zum ersten Mal versucht, das klassische Orchester in ein Cyberorchester zu verwandeln. Mit dem »Cybersinging« werden die Klangmöglichkeiten des Orchesters unendlich erweitert. Damit kehre ich im Grunde zu dem Spiel zurück, das ich als Kind gespielt habe, als ich in meiner Fantasie urbane Technologieklänge mit Harmonie vermischt habe. Das ist für mich immer eine poetische Welt, die durch die Mischung von traditionellen Musikinstrumenten und Smartphones entsteht, also von alter und neuer Technologie.
MSS: Auch in Ihrem neuen Stück für das Sitkovetsky Trio spielen Smartphones eine wichtige Rolle. Der Titel »Trinity« bedeutet so viel wie Dreieinigkeit – ein Begriff, den man am ehesten mit der christlichen Religion verbindet. Sind Sie ein religiöser Mensch?
FC: Nein, ich betrachte mich als zutiefst spirituell und lebensverbunden, aber ich brauche keine Religion, um die spirituelle Dimension des Menschen zu verstehen. »Trinitiy« spielt mit verschiedenen Assoziationen. Wir haben drei Solist:innen, und wir haben drei Sätze. Darüber hinaus ist das Werk inspiriert von Texten des hindu-katalanischen Philosophen Raimon Panikkar. In seiner trinitarischen Vision der Realität, die er »kosmotheandrisch« genannt hat, vereinen sich Kosmos, Gott (Theos) und Mensch (Andros), alles ist voneinander abhängig und nicht ohne das jeweils Andere zu denken. Nur durch die Annahme dieser Werte kann es echte Demokratie unter den Menschen geben, die einen gegenseitigen Respekt fördert, der uns erhebt. Damit interpretiere ich im Konzert für Klaviertrio und Orchester auf meine Weise das Motto ›Miteinander‹ beim diesjährigen Beethovenfest.
Mit seiner Kammermusik und seinen Sinfonien gehörte Antonín Dvořák am Ende des 19. Jahrhunderts zu den meistgespielten Komponist:innen der Donaumonarchie, zu der Dvořáks Heimat Böhmen als abhängiges ›Kronland‹ gehörte. Sein eingängiger, national geprägter Stil feierte große Erfolge – auch weil Dvořák keine völlig ›neue Musik‹ schrieb, sondern den Stil seiner Idole Mozart und Schubert auf sehr persönliche Art weiterentwickelte.
Damit sicherte sich Dvořák auch in England eine eingeschworene Fangemeinde. 1884 war er auf Einladung der Londoner Philharmonic Society zum ersten Mal auf der Insel. Seitdem kam er regelmäßig und knüpfte Kontakte zum britischen Verlagshaus Novello, das die Erstausgabe der achten Sinfonie herausbrachte. So entstand der gelegentliche Beiname »Englische Sinfonie« für ein Werk, das Dvořák eigentlich als Bewerbungsstück für die Aufnahme in die Böhmische Kaiser-Franz-Josef-Akademie für Wissenschaft, Literatur und Kunst geschrieben hatte. Der Komponist dirigierte das Werk erstmals am 2. Februar 1890 in Prag, bevor er es bei Konzerttourneen in Russland (auf Anregung von Peter Tschaikowsky) und England vorstellte.
Die achte Sinfonie ist ein besonderes Werk. Dvořáks Förderer Johannes Brahms monierte »zuviel Fragmentarisches« – doch gerade die lockere formale Fügung hat einen unwiderstehlichen Reiz. Schon der erste Satz bietet eine ungewöhnliche Reihung unterschiedlicher Gedanken. Eine elegische Melodie in der bronzenen Tönung von Celli, Hörnern, Posaunen und tiefen Holzbläsern eröffnet den Satz wie ein »Es war einmal«. Erst dann setzt die Flöte mit einer Art Hauptthema ein, das den Allegro-Satz in Schwung bringt, gefolgt von einem unruhigen Motiv der Holzbläser. So entsteht aus der Ideenfülle des Satzes der Eindruck eines Potpourris ohne Strenge und voller Überraschungen.
Im Adagio zeigt Dvořák dann, wie man aus wenigen unscheinbaren Motiven einen ganzen Sinfoniesatz baut. Auch hier gibt es kein ›klassisch‹ abgerundetes Thema, sondern den mehrfachen Ansatz einer Melodie auf verschiedenen Tonlagen. Danach wird dieser dreitönige melodische Schnipsel weidlich genutzt: bei Miniatursignalen der Flöten oder im gesanglichen zweiten Thema mit seiner keck herabfahrenden Begleitung der Geigen – bis hin zu einer düster brodelnden Szene im Mittelteil.
Ihren lyrischen Grundton bewahrt die Sinfonie auch im dritten Satz, der eine Melodie aus Dvořáks Oper »Die Dickschädel« für einen eleganten Walzer mit böhmischem Trio benutzt. Das Finale schließlich zählt zu den berühmtesten Instrumentalsätzen des Komponisten. Nach festlichen Trompetenstößen (ein deutlicher Hinweis auf die Bestimmung der Sinfonie für die akademische Feierlichkeit) formen die Celli aus dem Rohmaterial der Fanfare eine bezaubernde Melodie, die viermal variiert wird. Ein ländlicher Stampftanz fährt dazwischen und mündet erneut in die Fanfare vom Anfang. Drei weitere Variationen entfalten noch einmal die lyrische Anmut des Themas; am Ende wird alles von einer schmetternden Stretta, einem eindrucksvoll-virtuosen Finale, hinweggefegt.
Text: Michael Struck-Schloen
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Das Beethovenfest Bonn 2024 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Noomi J. Bacher
Die Texte von Michael Struck-Schloen sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.