Giorgi Gigashvili Klavier & Gesang
Nini Nutsubidze Gesang
5.9.-3.10. 2024
Giorgi Gigashvili Klavier & Gesang
Nini Nutsubidze Gesang
Der Pianist Giorgi Gigashvili schafft einen mehrfachen Spagat: zwischen Konzerthäusern und den Techno-Clubs seiner georgischen Heimatstadt Tbilisi. Zwischen großer Klassik, georgischer Folklore, experimentell-elektronischen Klängen und Hip-Hop. Und nicht zuletzt zwischen seinen beiden Lebensmittelpunkten in Berlin und Tbilisi.
Heute ist er nach zahlreichen Wettbewerbserfolgen auf den großen Konzertbühnen der Welt zu Hause. Aufgewachsen ist Gigashvili mit georgischer Vokalmusik und groß geworden zwischen Konservatorium und Hip-Hop. Es geht ihm vor allem um den Flow in der Musik, darum, sich vorzustellen, wie die Komponist:innen selbst ihre Stücke spielen würden, um das heutige Publikum für sich zu gewinnen.
In den drei Konzerten, die er im Rahmen seines Beethovenfest-Fellowships präsentiert (zusätzlich zu seinem Auftritt im Eröffnungskonzert), zeigt Gigashvili, was es für ihn heißt, im Jetzt ein Pianist zu sein – und wie er die Herausforderungen des Klassikbetriebs mit seiner eigenen musikalischen Identität zwischen Brahms und Beyoncé vereint.
»Georgian on my mind«, das erste seiner drei Fellowship-Konzerte, setzt gemeinsam mit der Sängerin Nini Nutsubidze den Fokus auf die musikalische Folklore.
Das Duo, gegründet während den Anfängen der Pandemie 2020, lässt Werke von Beethoven, Johannes Brahms, Frédéric Chopin und Domenico Scarlatti auf eigene Interpretationen georgischer Lieder treffen. Was verbindet diese Musiken? Gibt es etwas, das Folklore traditionsübergreifend und über die Jahrhunderte vereint? Und was kann die Musik Georgiens zur globalen Musikkultur beitragen? Diese Fragen will Gigashvili aufwerfen.
Gigashvili möchte Verbindungen herausarbeiten zwischen Folklore, klassischer Musik und elektronischen Musikformen: »Folklore ist die reinste Form der Musik«, sagt der Pianist, der als Kind und Jugendlicher fast zehn Jahre lang in einem georgischen Folkloreensemble gesungen hat. »Sie ist losgelöst von der Figur der Komponist:in und vereint die reinste Form von Identität, die reinste Form von Geschichte in sich.«
Doch Gigashvili ist kein Verfechter eines folkloristischen Essentialismus, glaubt also nicht an die Existenz ›reiner‹ Volksmusik. Ihn interessiert vielmehr, wie Komponist:innen über die Jahrhunderte hinweg jeweils auf ihre eigene Weise Volksmusik rezipiert haben und stellt diesen Werken seine persönliche Vision zeitgemäßer georgischer Musik gegenüber:
»Wir wollen schauen, ob und wenn ja wie die Folkloremusik der Welt sich in der georgischen wiederfindet oder wie vielleicht auch die georgische Musik selbst die Musik der Welt beeinflusst haben könnte.«
Musik und insbesondere das Lied hat in Georgien, dessen Einwohnerzahl nur knapp über der Berlins liegt, einen ganz besonderen Stellenwert. Wie lässt sich anders erklären, dass aus dem kleinen Land am Kaukasus ein stetiger Strom musikalischer Ausnahmetalente zu verzeichnen ist, von Lisa Batiashvili über Khatia Buniatishvili zu Katie Melua?
Die meist dreistimmigen, für westeuropäische Ohren archaisch klingenden georgischen Lieder ertönen etwa während der nicht selten überbordend zelebrierten georgischen Gasttafel, der Supra. Aber auch zu zahlreichen anderen alltäglichen und weniger alltäglichen Gelegenheiten wird in Georgien gesungen. Seit 2008 gehört die georgische Vokalpolyphonie, die sich je nach ihrer Herkunftsregion im Land stark unterscheiden kann, zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO.
Gigashvili wächst auf umgeben von dieser Musik:
»In meiner Kindheit hatte ich fast ausschließlich Kontakt mit Folkloremusik. Meine Mutter hat mir, seit ich denken kann, immer Hamlet Gonashvili vorgespielt, einen berühmten georgischen Folkloresänger aus der Sowjetzeit. Zusammen mit meiner Zeit im Folkloreensemble hat all das mich und mein musikalisches Denken extrem stark beeinflusst. Mein Verständnis von Bach, Beethoven und allen anderen wäre sicher nicht dasselbe ohne diese Erfahrung.«
Georgien bedeutet für Gigashvili aber nicht nur Musik. Obwohl es im Land immer wieder ökonomische und politische Durststrecken gab und gibt und er zu einer Generation gehört, die starke Verbindungen nach Westeuropa aufgebaut hat und sie noch weiter stärken will, kann er sich nur sehr schwer vorstellen, seine Existenz ganz von seiner Heimat zu kappen:
»Ich kann ohne Georgien einfach nicht leben. Das ist bei mir so etwas wie eine pure Form der Liebe dazu, gerade hier zu Hause zu sein. Das mag vielleicht pathetisch klingen, aber so ist es eben. Ich kann nicht im Ausland leben, ohne permanent an Georgien zu denken. Ich bin hier aufgewachsen, alle Geschichten, die Demonstrationen, der Protest, einfach alles ist immer bei mir, egal wo ich gerade bin.«
À propos Protest. Gerade ist eine erneute, massive Protestwelle durch das Land geschwappt, die ein nach russischem Vorbild gestaltetes Gesetz gegen aus dem Ausland finanzierte Organisationen, die von der Regierung als »ausländische Agenten« eingestuft werden, verhindern wollte – letztlich ohne Erfolg. Gigashvili war selbstverständlich mit auf der Straße. Was passiert mit der Musik und den Künsten in einem politischen Umfeld, das immer restriktiver wird und zunehmend versucht, staatliche und nicht-staatliche Institutionen auf Linie zu bringen?
»Unsere jetzige Regierung kann nichts gegen die Werke und Ideen unserer Künstler:innen tun – wir waren schon immer eigensinnig und haben uns nie einschüchtern lassen.« Gigashvili führt die Repressionen der Stalinzeit als Beispiel an: »Schon 1937 hat die Obrigkeit fast alle umgebracht, die in ihrem Fach zur Spitze gehörten. Wir wissen, wie es ist, zum Schweigen gebracht zu werden, Angst zu haben. Aber das macht alles nichts, niemand konnte uns damals aufhalten und niemand wird uns heute aufhalten können.«
Worüber Gigashvili und Nutsubidze in diesem Konzert im musikalischen Zwiegespräch nachdenken, sind fundamentale Fragen ihrer Identität: Was heißt es, im heutigen Musikbetrieb, Georgier oder Georgierin zu sein? Aus einem konfliktbeladenen Land mit reicher Kultur zu kommen, gleichzeitig aber Teil der Klassik-Szene zu sein, die zwar immer noch einzelne Personen, Komponist:innen wie Interpret:innen, heroisiert, sie gleichzeitig aber oft merkwürdig losgelöst wahrnimmt von ihrer jeweiligen, spezifischen Herkunft?
Text: Jonas Löffler
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Das Beethovenfest Bonn 2024 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Noomi J. Bacher
Die Texte von Jonas Löffler sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.