Cuarteto Casals
Vera Martínez Mehner Violine
Abel Tomàs Realp Violine
Cristina Cordero Viola
Arnau Tomàs Realp Violoncello
5.9.-3.10. 2024
Cuarteto Casals
Vera Martínez Mehner Violine
Abel Tomàs Realp Violine
Cristina Cordero Viola
Arnau Tomàs Realp Violoncello
Johann Sebastian Bach (1685–1750)
»Die Kunst der Fuge« BWV 1080, arr. für Streichquartett
Contrapunctus 1
Contrapunctus 2
Contrapunctus 3
Contrapunctus 4
Canon per Augmentationem in Contrario Motu (Nr. 14)
Canon alla Ottava (Nr. 15)
Contrapunctus 5
Contrapunctus 6 a 4 in Stylo Francese
Contrapunctus 7 a 4 per Augment et Diminut
Contrapunctus 9 a 4 alla Duodecima
Contrapunctus 10 a 4 alla Decima
Contrapunctus 11 a 4
Contrapunctus 8 a 3
Contrapunctus inversus & Contrapunctus 13 a 3
Canon alla Decima [in] Contrapunto alla Terza (Nr. 16)
Canon alla Duodecima in Contrapunto alla Quinta (Nr. 17)
Contrapunctus inversus 12 a 4
Fuga a 3 Soggetti 18
Choral. Wenn wir in hoechsten Noethen BWV 668
Das Miteinander ist in der aktuellen gesellschaftlichen Situation oftmals in Frage gestellt, ja, dieses für eine demokratische Ordnung unabdingbare Prinzip gerät von vielen Seiten unter Druck. Statt ›miteinander‹ heißt es immer häufiger ›gegeneinander‹, und die damit einhergehende Rigorosität scheint stetig im Wachsen begriffen. Umso mehr ist auch die Kunst gefordert, ihre Stimme für das Miteinander zu erheben und Beispiel zu geben. Das Streichquartett ist dafür bestens geeignet. Zwar spiegeln sich in dieser Gattung auch Krisen, Konflikte und aufwühlende Beziehungen wider, doch der Diskurs auf Augenhöhe ist dem polyphonen, also mehrstimmigen Geflecht der vier Instrumente wie eine DNA eingeschrieben: Polyphonie ist Demokratie und umgekehrt. Das spürte schon Bach, obwohl er in der Epoche des politischen Absolutismus lebte. In seiner Musik realisierte er eine Gleichberechtigung der einzelnen Linien, die utopische Dimensionen in sich trägt. »Die Kunst der Fuge«, sein großes Spätwerk, bringt diesen Ansatz auf den Punkt.
Um Johann Sebastian Bachs »Die Kunst der Fuge« ranken sich Legenden. Längst ist widerlegt, dass dieser monumentale, doch unvollendete Zyklus aus Fugen und Kanons sein letztes Werk sei und dass ihm beim unvermittelten Abbruch in Takt 239 der letzten »Fuga a 3 Sogetti« der Tod die Feder aus der Hand geschlagen habe. Diese Behauptung hielt sich jedoch hartnäckig – und das beruht auf der besonderen Aura, mit der unvollendete Kompositionen umgeben sind. Allein schon durch ihre Flüchtigkeit besitzt Musik existenzielle Dimensionen; zusätzlich scheint eine fragmentarisch gebliebene Komposition an Grenzüberschreitung und jenseitige Sphären zu rühren, zur Auseinandersetzung mit den ›letzten Dingen‹ einzuladen. Die Erkenntnis von der eigenen Endlichkeit, verknüpft mit dem Wunsch, den Tod zu überwinden, über ihn hinauszuweisen, war schon immer ein maßgeblicher Antrieb für die Künste. Zudem zeigt sich im Fragment ein Einfrieren im historischen und biografischen Moment. Es lenkt den Blick auf komplexe künstlerische Entwicklungsprozesse und individuelle Extremsituationen, die ihre ganz eigene Spannung entfalten.
»Die Kunst der Fuge« blieb zwar unvollendet, aber gerade dadurch dokumentiert sich in ihr eine andere Form der Vollendung. Sie ist in Vollendung unvollendet – und im Hinblick darauf mit Wolfgang Amadeus Mozarts »Requiem« oder Arnold Schönbergs Oratorien-Fragment »Die Jakobsleiter« zu vergleichen. In diesen Werken versinnbildlicht sich der Gedanke, »dass der Mensch«, wie es der Dirigent Winfried Zillig umschrieb, »angesichts der Beschränkung dem Ewigen gegenüber immer nur eine unvollkommene Antwort geben könnte«.
Das Unvollendete schmälert die Bedeutung der »Kunst der Fuge« als Bachs klingendes Vermächtnis keineswegs. Er verwirklichte in diesem »Musikalischen Kunstbuch« exemplarisch die in seinen späten Jahren konsequent entwickelte Idee einer weit ausgreifenden und dennoch strukturell verdichteten Instrumentalsprache. Nicht nur, dass in der »Kunst der Fuge« alle Fugen in der gleichen Tonart stehen. Sie basieren auch auf einem gemeinsamen melodischen Thema, dessen faszinierende Variationen Höhepunkt und Resümee der Musik Bachs markieren.
Über Sinn und Zweck des Zyklus wurde viel gemutmaßt. Da Angaben zur Besetzung fehlen, erschien es unsicher, ob er überhaupt für die klingende Realisierung gedacht war oder ob Bach sich lediglich theoretisch in ein Kompositionsprinzip vertiefen wollte. Für eine Aufführung im Streichquartett, wie heute mit dem Cuarteto Casals, ist »Die Kunst der Fuge« geradezu prädestiniert: Im vierstimmigen Satz, der von der Vokalmusik und den Stimmlagen Sopran, Alt, Tenor und Bass abgeleitet wurde, kommt das polyphone Geflecht eindringlich zum Tragen. Deswegen stößt das Werk bei Quartetten immer wieder auf große Resonanz – auch vor dem Hintergrund, dass eine hohe künstlerische Reife die Voraussetzung dafür ist, der »Kunst der Fuge« gerecht werden zu können.
»Als wir angefangen haben, sagte uns ein Streichquartett-Veteran, ein Quartett lerne die ersten 25 Jahre zusammen zu spielen, und die nächsten 25 Jahre lerne es getrennt voneinander zu spielen. Jetzt haben wir diesen Meilenstein erreicht und sind tatsächlich weiterhin mit dem Mysterium konfrontiert: Wann sollte sich die Identität des Einzelnen den Bedürfnissen des Kollektivs beugen? Sind wir Eins oder sind wir Vier?
Bachs ›Die Kunst der Fuge‹ ist die wohl tiefgründigste Auseinandersetzung mit dem musikalischen Kontrapunkt der westlichen Musikgeschichte und somit das ideale Werk, sich mit uns selbst als Quartett auseinanderzusetzen: Vier Stimmen, keine festgelegte Instrumentation, ein großes Rätsel: Wie können vier verschiedene Stimmen ihre Individualität behalten?«
– Cuarteto Casals
Bach verzichtete auf die Festlegung der genauen Reihenfolge der Fugen und Kanons, deren Nummerierung von 1 bis 18 reicht. Am Ende steht ein Choral, der von den Herausgebern der »Kunst der Fuge« nach Bachs Tod angefügt wurde. Auch Anweisungen zu Lautstärke und Tongestaltung, also Artikulation fehlen. Dies mutet aus heutiger Sicht ungewöhnlich an, war aber zu Bachs Zeit nicht unüblich. Weit verbreitet war und ist auch die Annahme, dass Bach den Zyklus zum pädagogischen Gebrauch vorgesehen hat. Sein Sohn Carl Philipp Emanuel etwa sprach von dem »perfektesten anwendbaren Fugenwerk«, mit dem »jeder Student mit Hilfe eines guten Theoriebuchs lernen müsse, eine gute Fuge zu komponieren«. Allerdings war Bach viel zu sehr ein Mann der Praxis, als dass er mit der »Kunst der Fuge« nicht den Wunsch verbunden hätte, klingende Musik zu schaffen. Ob er in seinen klanglichen Vorstellungen auch schon an Streichinstrumente dachte, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Jedenfalls war er nicht nur ein Tastenvirtuose, sondern auch im Umgang mit Streichinstrumenten sehr versiert.
»Er hörte die geringste falsche Note bey der stärcksten Besetzung. Als der größte Kenner und Beurtheiler der Harmonie spielte er am liebsten die Bratsche mit angepaßter Stärcke und Schwäche. In seiner Jugend bis zum ziemlich herannahenden Alter spielte er die Violine rein und durchdringend und hielt dadurch das Orchester in einer größeren Ordnung, als er mit dem Flügel hätte ausrichten können. Er verstand die Möglichkeiten aller Geigeninstrumente vollkommen.«
– Carl Philipp Emanuel Bach über seinen Vater Johann Sebastian
Erst im Erklingen offenbart sich die ganze Qualität der »Kunst der Fuge« als Ausdruck wuchernder Fantasie im Spannungsfeld aus Regelhaftigkeit und Freiheit. Auf höherer Ebene schlägt sich in ihr auch das Verhältnis zwischen göttlicher Ordnung und individueller Entfaltung nieder – aus jetziger Perspektive ein vermeintlicher Gegensatz, der für Bach aber noch bruchlos zusammenging. Jeder Contrapunctus ist innerhalb des Zyklus ein eigenständiger Organismus, eine neue Spielart, ein aufregendes Abenteuer. Das wurde aber nicht immer so gesehen, denn nach seinem Tod 1750 fiel Bach zunächst der Vergessenheit anheim. Bereits in seinen letzten Lebensjahren mochte er geahnt haben, dass so verrätselte und komplexe Kompositionen wie die »Kunst der Fuge« dem Zeitgeist entwichen sind. Heute gilt sie als visionäre Schöpfung. Ebenso wie Bachs »Goldberg-Variationen« oder seine Suiten für Violoncello solo ragt sie so weit über das Repertoire ihrer Zeit hinaus, dass sie als ›zeitlos‹ charakterisiert wird – ›zeitlos‹ nicht hinsichtlich ihrer kompositorischen Machart, aber im Erscheinungsbild als Ganzes.
Text: Egbert Hiller
Seit seiner Auszeichnung mit ersten Preisen beim International String Quartet Competition in London und dem internationalen Johannes Brahms Wettbewerb Hamburg tritt das Cuarteto Casals, das 1997 an der Musikhochschule Reina Sofía in Madrid gegründet wurde, wiederholt in den angesehensten Konzertsälen der Welt auf, wie der Carnegie Hall, der Philharmonie Berlin, der Cité da la Musique Paris, der Philharmonie Paris, dem Konzerthaus und dem Musikverein in Wien, dem Concertgebouw Amsterdam, der Suntory Hall und vielen weiteren. Zur Feier seines 25-jährigen Jubiläum hat das Quartett ein Album mit der Gesamtaufnahme von J. S. Bachs »Die Kunst der Fuge« veröffentlicht, das von der Presse hoch gelobt wurde.
Eine Auszeichnung der prestigeträchtigen Burletti-Buitoni Stiftung London ermöglichte es dem Quartett, eine Sammlung aus Bögen einzurichten, welche den Epochen des Barocks und der Klassik getreu sind. Mit diesen können die Musiker Werke von Purcell bis Schubert spielen und ihre Fähigkeit, die unterschiedlichen Musikstile besonders charakteristisch zu interpretieren, noch verfeinern.
Wir – das Beethovenfest Bonn – laden ein, in einem offenen und respektvollen Miteinander Beethovenfeste zu feiern. Dafür wünschen wir uns Achtsamkeit im Umgang miteinander: vor, hinter und auf der Bühne.
Für möglicherweise auftretende Fälle von Grenzüberschreitung ist ein internes Awareness-Team ansprechbar für Publikum, Künstler:innen und Mitarbeiter:innen.
Wir sind erreichbar über eine Telefon-Hotline (+49 (0)228 2010321, im Festival täglich von 10–23 Uhr) oder per E-Mail (achtsamkeit@beethovenfest.de).
Werte und Überzeugungen unseres Miteinander sowie weitere externe Kontaktmöglichkeiten können hier auf unserer Website aufgerufen werden.
Das Beethovenfest Bonn 2024 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Noomi J. Bacher
Die Texte von Egbert Hiller sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.