Chamber Orchestra of Europe
Golda Schultz Sopran
Robin Ticciati Dirigent
28.8.– 27.9. 2025
Chamber Orchestra of Europe
Golda Schultz Sopran
Robin Ticciati Dirigent
George Gershwin (1898–1937)
»Summertime« aus der Oper »Porgy and Bess«
Kurt Weill (1900–1950)
»Lost in the Stars« aus dem gleichnamigen Musical
Igor Strawinsky (1882–1971)
»No Word from Tom« aus der Oper »The Rake’s Progress« (Original)
Erich Wolfgang Korngold (1897–1957)
»Mariettas Lied« aus der Oper »Die tote Stadt« op. 12
Leonard Bernstein (1918–1990)
»Somewhere« aus dem Musical »West Side Story«
Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Sinfonie Nr. 8 F-Dur op. 93
I. Allegro vivace e con brio
II. Allegretto scherzando
III. Tempo di Menuetto
IV. Allegro vivace
Pause
Igor Strawinsky (1882–1971)
»Der Feuervogel«. Ballettsuite für Orchester (1945)
Introduction
Prelude and Dance
Variations
Pantomime I
Pas de deux
Pantomime II
Scherzo
Pantomime III
Rondo (Chorovod)
Infernal Dance
Lullaby
Final Hymn
Golda Schultz liebt die ›starken Frauen‹ in Opern und Musicals: Anne Trulove in Strawinskys »The Rake’s Progress«, Clara aus Gershwins »Porgy and Bess« oder Marietta aus Korngolds »Die tote Stadt« – resiliente Frauen »voller Hoffnung«, wie sie sagt, und Erfahrungen, die sie gern verkörpert. »Ich liebe Geschichten von Menschen«, erklärt sie im Interview, »denn ich habe so viele Fragen. Was bedeutet es, Mensch zu sein, warum tun wir, was wir tun, warum lieben wir, warum hassen wir?«
Teile des Programms des heutigen Abends sang Golda Schultz bereits auf den größten Bühnen der Welt: in der New Yorker Metropolitan Opera, im Concertgebouw Amsterdam oder bei der Last Night of the Proms in der Londoner Royal Albert Hall. Die Sopranistin begeistert die Kritiker:innen immer wieder – durch ihr feines Gespür für Zwischentöne und versteckte Ebenen stehen nämlich keine Abziehbilder der Figuren oder männliche Projektionen auf der Bühne, sondern nahbare Frauenfiguren mit all ihren Ängsten, Wünschen und Begehren.
Golda Schultz eröffnet dieses Konzert gleich mit einer ihrer erfolgreichsten Partien: Die Clara aus George Gershwins Oper »Porgy and Bess« hat sie mittlerweile bereits an der Metropolitan Opera in New York gesungen. Dem Komponisten war wichtig, dass ausschließlich Schwarze Sänger:innen auf der Bühne stehen – für Golda Schultz ein wichtiges Detail: Denn Schwarze Menschen, sagt sie in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk, verstünden, was es heiße, fremd zu sein, sie verstünden die Hintergründe von Civil Rights und Apartheid.
Clara ist direkt in der ersten Szene von »Porgy and Bess« eine Schlüsselfigur: Sie wiegt ihr Baby in den Armen und stimmt »Summertime« an – ein Lied über Sicherheit, Elternliebe und ein sorgenfreies Leben im Sommer. »Eines Morgens wirst du singend aufwachen«, heißt es da, »dann spannst du deine Flügel auf und fliegst himmelwärts. Doch bis dahin kann dir nichts passieren, denn Papa und Mama sind bei dir.« Im Laufe der Handlung verunglückt Jake, ihr Mann und Vater des Kinds, auf See und sie selbst stirbt bei dem Versuch, ihn zu retten. Im dritten Akt singt die Hauptfigur Bess dann das Waisenkind mit demselben Wiegenlied in den Schlaf.
Summertime and the livin’ is easy,
Fish are jumpin’, and the cotton is high.
Oh, yo’ daddy’s rich, and yo’ ma is good lookin’,
So hush, little baby, don’ yo’ cry.
One of these mornin’s you goin’ to rise up singin’,
Then you’ll spread yo’ wings an’ you’ll take the sky.
But till that mornin’, there’s a-nothin’ can harm you
With Daddy an’ Mammy standin’ by.
Auch in Kurt Weills Musical »Lost in the Stars« geht es um Schwarze Perspektiven: Die Handlung um den Reverend Stephen Kumalo spielt in Johannesburg, Südafrika. Weil er seine Schwester entlasten will, kümmert er sich um seinen Neffen Alex – parallel dazu versucht er seinen Sohn Absalom davon abzuhalten, auf die schiefe Bahn zu geraten. Als dieser jedoch bei einem Raubüberfall einen Weißen Freund seines Vaters ermordet, wird er zum Tode verurteilt.
Der Vater des Ermordeten und Stephen Kumalo versöhnen sich über den gemeinsamen Verlust ihrer Söhne. In »Lost in the Stars« betet Stephen zu dem Gott Tixo, nachdem Absalom ihm den Mord gestanden hat – denn so richtig will er das alles nicht wahrhaben: »Manchmal scheint es, als sei Gott gegangen und hätte sein Versprechen und seine Worte vergessen.«
Before Lord God made the sea and the land
He held all the stars in the palm of his hand
And they ran through his fingers like grains of sand
And one little star fell alone
Then the Lord God hunted through the wide night air
For the little dark star on the wind down there
And He stated and promised He’d take special care
So it wouldn’t get lost again
Now a man don’t mind if the stars grow dim
And the sky clouds over and darkens him
So long as the Lord God’s watching over him
Keeping track how it all goes on
But I’ve been walking through the night and the day
’Til my eyes get weary and my head turns gray
And sometimes it seems maybe God’s gone away
Forgetting the promise that we heard Him say
And we’re lost out here in the stars
Little stars, big stars
Blowing through the night
And we’re lost out here in the stars
Die Figur der Anne Trulove in Igor Strawinskys »The Rake’s Progress« zu gestalten, ist eine Herausforderung: Ihr Geliebter, Tom, entscheidet sich – unter Einfluss des Teufels – nach London zu gehen und dort ein Lotterleben zu führen. Dabei verliert er jeglichen Zugang zu seinem früheren Ich. Anne spürt das aus der Ferne.
In ihrer Ballade »No Word From Tom« wundert sie sich darüber, dass er nichts von sich hören lässt. Doch sie verharrt nicht in der Rolle der zurückgelassenen, leidenden Frau. Sie versteht: Ihr Geliebter braucht Hilfe. Vom anfänglichen Bangen entwickelt sich die Arie zu einer Art Gebet – und schlussendlich zu einer entschlossenen Hymne: »Ich gehe zu ihm, Liebe kann nicht zögern, die Zeit kann nicht ändern ein ewig liebendes Herz.« Der Schlusston dieser Arie ist ein besonders hoher Spitzenton, das dreigestrichene C.
Für ihre Interpretation der Rolle im Jahr 2022 an der Metropolitan Opera lobte ein Rezensent der »New York Times« Golda Schultz in höchsten Tönen. Sie habe der Anne eine ungeheure Komplexität und Tiefe verliehen.
[Rezitativ]
No word from Tom.
Has Love no voice, can Love not keep
A Maytime vow in cities? Fades it as the rose
Cut for a rich display? Forgot! But no, to weep
Is not enough. He needs my help.
Love hears, Love knows,
Love answers him across the silent miles, and goes.
[Arie]
Quietly, night, O find him and caress
And may thou quiet find
His heart, although it be unkind,
Nor may its beat confess,
Although I weep, it knows of loneliness.
Guide me, O moon, chastely when I depart,
And warmly be the same
He watches without grief or shame;
It cannot be thou art
A colder moon upon a colder heart.
[Rezitativ]
[Truloves Stimme ruft aus dem Haus: »Anne, Anne«.]
My Father! Can I desert him and his devotion for a love who has deserted me?
[Sie beginnt auf das Haus zuzugehen. Dann hält sie plötzlich an.]
No, my father has strength of purpose, while Tom is weak, and needs the comfort of a helping hand.
[Sie kniet.]
O God, protect dear Tom, support my father, and strengthen my resolve.
[Sie senkt ihren Kopf, steht dann mit Entschiedenheit auf.]
[Arie]
I go to him
Love cannot falter,
Cannot desert;
Though it be shunned,
Or be forgotten,
Though it be hurt
If love be love
It will not alter.
O should I see
My love in need,
It shall not matter
What he may be.
I go to him.
Love cannot falter,
Cannot desert
A loving heart,
An ever-loving heart.
In Erich Wolfgang Korngolds Oper »Die tote Stadt« begegnet dem Protagonisten Paul eine Art Reinkarnation seiner verstorbenen Frau Marie: Die Tänzerin Marietta, die Marie zum Verwechseln ähnlich sieht, erscheint ohne ersichtlichen Grund in seinem Zimmer. Er gibt ihr den Schal sowie die Laute seiner Frau, und Marietta beginnt zu singen: »Glück, das mir verblieb, rück zu mir, mein treues Lieb. […] Bange pochet Herz an Herz, Hoffnung schwingt sich himmelwärts.« Golda Schultz singt Pauls Antworten auf Mariettas Worte mit (»Wie wahr, ein traurig Lied«). Er kennt das Stück und erinnert sich bis zur letzten Strophe: »Sterben trennt uns nicht. Musst du einmal von mir gehn, glaub, es gibt ein Auferstehn.«
Nach und nach entpuppt sich Marietta in der Oper als Projektionsfläche für Pauls Sehnsucht nach seiner Frau – er träumt, dass sie ihn provoziert und er sie daraufhin ermordet. Aber wer Marietta als Individuum ist – unabhängig davon, was Paul in ihr sehen will –, das erfahren wir nicht, zumindest nicht aus der Partitur. Hier ist Golda Schultz als Interpretin gefragt – sie kann und wird Marietta durchaus eine starke Persönlichkeit verleihen.
Glück, das mir verblieb,
Rück zu mir, mein treues Lieb.
Abend sinkt im Haag
Bist mir Licht und Tag.
Bange pochet Herz an Herz
Hoffnung schwingt sich himmelwärts.
Wie wahr, ein traurig Lied.
Das Lied vom treuen Lieb,
Das sterben muss.
Ich kenne das Lied.
Ich hört es oft in jungen,
In schöneren Tagen ...
Es hat noch eine Strophe –
Weiß ich sie noch?
Naht auch Sorge trüb,
Rück zu mir, mein treues Lieb.
Neig dein blass Gesicht
Sterben trennt uns nicht.
Musst du einmal von mir gehn,
Glaub, es gibt ein Auferstehn.
Anders ist die Liebesgeschichte in Leonard Bernsteins »West Side Story«: Tony und Maria gehören zu zwei rivalisierenden Gangs – Tony zu den US-amerikanischen »Jets« und Maria zu den puerto-ricanischen »Sharks«. Entgegen jeder Erwartung verlieben sich die beiden ineinander. Als Tony während eines Bandenkampfs Marias Bruder Bernardo ersticht, kommt es auch zwischen den Liebenden zu einem schweren Konflikt. Daraufhin beginnen sie, von einer besseren Welt zu träumen. Sie stimmen das Lied »Somewhere« an, zu dem sie laut Regieanweisungen die Mauern der Stadt durchbrechen und Hand in Hand in eine paradieshafte Welt eintreten.
Dort tanzen sie zu dem aus dem Off erklingenden Lied: »Es gibt einen Ort, frei von Kummer und von Gewalt […], lass uns den Weg gemeinsam gehen, glaube mir und dann wirst du sehen, nicht heut, nicht hier, doch bald.« So kitschig das zunächst scheinen mag, so dramatisch und herzzerreißend entwickelt sich diese moderne Romeo-und-Julia-Adaption entlang des gesungenen Traums: Als Tony am Ende des Musicals erschossen wird, stimmt Maria die ersten Zeilen des Songs erneut an, während er in ihren Armen stirbt.
There’s a place for us,
Somewhere a place for us.
Peace and quiet and open air
Wait for us
Somewhere.
There’s a time for us,
Some day a time for us,
Time together with time to spare,
Time to learn, time to care,
Some day!
Somewhere.
We’ll find a new way of living,
We’ll find a way of forgiving
Somewhere ...
There’s a place for us,
A time and place for us.
Hold my hand and we’re halfway there.
Hold my hand and I’ll take you there
Somehow,
Some day,
Somewhere!
Fast 100 Jahre älter als »Der Feuervogel« ist Ludwig van Beethovens achte Sinfonie. 1811 und 1812 war der Komponist gerade in Teplitz, dem ältesten Heilbad Böhmens, auf Kur. Wer dort flanierte, zwischen Trinkhallen, Souvenirläden und teuren Hotels, traf berühmte Menschen: Könige, Kaiser, Hochadlige.
Beethoven verabredete sich unter anderem mit Goethe zum gemeinsamen Spaziergang. »Er ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit«, sollte dieser später über den Komponisten sagen. »Goethe behagt die Hofluft zu sehr«, schrieb demgegenüber Beethoven, »mehr als es einem Dichter ziemt.«
Seine achte Sinfonie entstand zwischen all diesen aufregenden Begegnungen: Vier Sätze Heiterkeit und Lebensfreude, in denen der Komponist aber auch immer wieder mit den musikalischen Konventionen der damaligen Zeit brach – genau wie als ungezähmter Exzentriker in den Gassen der Kurstadt.
Nahezu alle Werke in diesem Programm haben auf irgendeine Art US-Bezug. Korngold und Weill gingen ins Exil nach Amerika, Gershwin und Bernstein waren Immigranten der zweiten Generation.
Auch Igor Strawinskys Leben war davon geprägt: 1882 in Russland geboren, zog er zunächst Anfang der 1900er-Jahre nach Paris und wurde 1934 französischer Staatsbürger. Während des Zweiten Weltkriegs floh er in die USA.
Sein Ballett »Der Feuervogel« stammt aus seiner Pariser Zeit. Wie im gleichnamigen russischen Märchen befreit der Protagonist Prinz Iwan den mythologischen Feuervogel aus dem Garten des Zauberers und bekommt zum Dank eine magische Feder geschenkt. Mit ihrer Hilfe und der des Feuervogels besiegt er den bösen Magier und erlöst seine versteinerten Opfer.
Strawinskys Musik mit ihren komplexen Rhythmen und mystischen Klängen übt seit der Uraufführung 1910 eine elektrisierende Wirkung auf das Publikum aus.
Hannah Schmidt
Wir – das Beethovenfest Bonn – laden ein, in einem offenen und respektvollen Miteinander Beethovenfeste zu feiern. Dafür wünschen wir uns Achtsamkeit im Umgang miteinander: vor, hinter und auf der Bühne.
Für möglicherweise auftretende Fälle von Grenzüberschreitung ist ein internes Awareness-Team ansprechbar für Publikum, Künstler:innen und Mitarbeiter:innen.
Wir sind erreichbar über eine Telefon-Hotline (+49 (0)228 2010321, im Festival täglich von 12–20 Uhr) oder per E-Mail (awareness@beethovenfest.de).
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Das Beethovenfest Bonn 2025 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Julia Grabe
Lektorat:
Heidi Rogge
Die Texte von Hannah Schmidt sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.