Es beginnt mit einem Spott. Ein Komponist setzt sich an den Schreibtisch, nicht um etwas Neues zu erfinden, sondern um das Alte neu zusammenzusetzen. Wie ein Alchemist montiert Bernd Alois Zimmermann Fragmente vergangener Zeiten zu einem Werk, das vor Wahnsinn, Ironie und Wut vibriert: »Musique pour les soupers du Roi Ubu« – Musik zu den Nachtmahlen des Königs Ubu. Dirigentin Anja Bihlmaier hat es auf ihr Konzertprogramm beim Beethovenfest 2025 gesetzt.

Wer ist dieser Ubu? Eine Witzfigur? Ein Monster? Ein Spiegel? In Alfred Jarrys absurdem Drama aus 1896 regiert König Ubu mit Dummheit und Gewalt. Er ist ein gieriger Tyrann, ein grotesker Herrscher, der mit dem Wort »Schreiße« die Bühne betritt. Zimmermann macht ihn zum Protagonisten einer Ballettmusik, die er selbst »Ballet noir« nennt. Es ist ein Tanz auf der Rasierklinge – zwischen Lachanfall und Kälteschauer, zwischen greller Farce und bitterer Wahrheit. Dabei zieht Zimmermann alle Register: Das Stück ist Collage, Satire, Ballett, Zitatarchiv und Anklage. ›Ultra‹ in seiner Verdichtung, ›ultra‹ in seiner Wut. Und damit ganz im Sinne des diesjährigen Festival-Mottos (»Alles ultra«), das fragt: Was ist noch zu viel – und was ist gerade richtig?
Anja Bihlmaier wird die »Ubu-Musik« dirigieren. Sie betont: »[Es] ist ein politisches Stück, wie es aktueller kaum sein könnte. Der Diktator als bösartiger Politikclown. Sein Handwerkszeug: Kraftmeierei, Desinformation, Ausleben von Allmachtsfantasien, Terror. Und das alles als mörderische Farce, so absurd, dass es schon wieder wahr ist.«
Zimmermanns Werk ist eine doppelbödige Klang-Collage. Ihre Grundschicht: barocke Tänze, neu arrangiert. Darüber: Zitate aus Marschmusik, sakralem Choral, Oper, Pop, Jazz. Alles ist erlaubt, solange es spricht. Und alles spricht – manchmal leise, manchmal schreiend. Der »Radetzky-Marsch« trifft auf Bachs »Brandenburgisches Konzert«, Wagners »Meistersinger« begegnen Beethovens »Pastorale«. Musik wird zum historischen Archiv. Aber auch zum Schlachtfeld.
Schon das »Entrée« gleicht einem Spukhaus der Musikgeschichte. Zimmermann zitiert Musik von Kollegen (ja, das waren nur Männer) aus der Akademie der Künste – er klaut gewissermaßen ganze musikalische Abschnitte oder Melodien, mit Respekt, Ironie oder leisem Hohn, und kombiniert sie auf verschiedenen musikalischen Ebenen neu miteinander. Mussorgsky, Hindemith, Fortner, Beethoven, Wagner. Sogar ein Architekt, der damalige Akademie-Präsident, wird mit Horn-Motiven, die die Buchstaben seines Namens nachzeichnen, ›zitiert‹. Zimmermann führt durch dieses Panoptikum wie ein:e Museumsführer:in durch ein Kabinett der Absurditäten. Nur dass der Museumsführer hier selbst Teil der Ausstellung ist.

Im letzten Satz, dem, wie Zimmermann ihn übersetzt, »Marsch der Gehirnzermantschung«, kulminiert alles. Paukenrhythmen aus Berlioz’ »Symphonie fantastique«, ein sich endlos wiederholender Akkord aus Stockhausens »Klavierstück IX«, und als Zitat der Zitate: Wagners »Walkürenritt«. Eine Soundkulisse, die Kriege begleitete, Rassismus untermalt, Propaganda befeuerte. Zimmermann schreibt jedoch keine Musik gegen den Krieg. Er zeigt, wie Musik selbst zum Krieg werden kann. Eine Opposition erscheint als Zentrum des Chaos: Wagner gegen Stockhausen – zwei Komponisten, die kaum gegensätzlicher sein könnten. Wagner, der mit seinen Klangmassen mythologische Größe beschwor und später für ideologische Gewalt herhalten musste, und Stockhausen, der sich selbst als Pionier der Avantgarde bezeichnete. Zimmermann nannte ihn einmal einen »Usurpator, einen Franz Josef Strauß der Neuen Musik«. Das sagt vielleicht mehr als jede Analyse.
Am Ende bleibt die Frage: Ist das nur noch Musik – oder schon Anklage? Zimmermann selbst nennt sein Werk »einen gewaltigen Ulk«, »bieder und scheinbar fröhlich«, aber zugleich ein »warnendes Sinngedicht«. Wer genau hinhört, erkennt: Diese Collage ist kein harmloses Spiel. Sie ist ein ernsthaftes, trauriges, wütendes Werk. Eines, das fragt, was Kunst darf, was Macht mit Klang macht – und ob der Mensch nicht längst darin untergegangen ist.
Anja Bihlmaier sagt: »Die Freiheit ist abgeschafft und in einem musikalischen Gewaltakt wird die Kunst entsorgt. Wenn wir sie retten wollen, dann müssen wir begreifen, dass sie kein Luxus ist, sondern Notwendigkeit.«
So klingt das Nachtmahl bei König Ubu. Es ist kein Fest. Es ist ein Totentanz.
Live zu hören gibt es dieses ›ultra‹-Werk im Konzert mit dem Cellisten Kian Soltani & dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin am 31.8.2025 in der Oper Bonn unter der Leitung von Anja Bihlmaier.
- , Oper Bonn
Kian Soltani & Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
OrchesterDeutsches Symphonie-Orchester Berlin, Anja Bihlmaier
Tschaikowsky, Zimmermann, Schostakowitsch