Geigerin Alena Baeva entdeckt Beethovens Violinkonzert als Ort für Improvisation, Freiheit und radikale Klangideen. Unsere Solistin des Eröffnungskonzerts zum Beethovenfest 2025 spricht über ihre Fluchtgeschichte, ihren Mentor Rostropowitsch – und ihren heimlichen Berufswunsch.
1. Welche Beziehung hast Du zu Beethovens Violinkonzert? Kann sein gewaltiges Erbe auch einschüchtern?
Dieses Stück ist in gewisser Weise allen anderen Violinkonzerten überlegen – ob man es spielt oder hört. Es ist wie ein majestätischer Berg: Aus der Ferne wirkt er einschüchternd, aber je näher man ihm kommt und je besser man ihn kennt, desto einladender erscheint er. Die Struktur ist klar, die Melodien sind wirklich einfach. Interessanterweise besteht die Rolle der Violine hauptsächlich darin, um die Linien herum zu improvisieren, wie der Flug eines Vogels.
Zu Beethovens Zeit hatten Solist:innen viele Freiheiten. Mit der eigenen Fantasie verschönerte man die Haltepunkte im Stück, sogenannte Fermaten. Man variierte das Tempo und schmückte die Wiederholungen von Teilen anders aus. So gestaltete jede:r Musiker:in eine persönliche und improvisatorische Version des Konzerts. Heute haben sich ganz andere Normen durchgesetzt: Geiger:innen legen Wert auf einem lauten, durchdringenden Klang mit reichhaltigem Vibrato. Abweichungen vom Tempo und der wortgetreuen Notation sind nicht üblich. Solche Standards wurden durch den Aufschwung der Schallplattenindustrie im 20. Jahrhundert quasi in Stein gemeißelt.
Ich möchte im Gegensatz dazu die Gelegenheit nutzen, dieses Violinkonzert neu zu entdecken. Besonders gern spiele ich dabei Beethovens eigene Kadenzen, also die virtuosen Zwischen-Abschnitte der Solovioline ohne Orchesterbegleitung. Er hat sie für seine eigene Klavierbearbeitung des Konzerts geschrieben. Ich finde, diese Kadenzen klingen modern und verrückt! Wer schreibt schon eine Kadenz, wo unvermittelt Pauken und Marschmusik auftauchen? Ich denke, dies erinnert uns einmal mehr daran, dass Beethoven nach Extremen suchte und sich nicht an strenge Regeln hielt. Ich kann es kaum erwarten, in Bonn mit dem brillanten Aurora-Orchester und Nicholas Collon diese Entdeckungsreise zu teilen.