Der Komponist aus Berlin schuf die Theatermusik zu einer neuen Sprechoper von Homers »Odyssee« im Schauspielhaus Bad Godesberg. Ketan Bhatti arbeitete dabei eng mit dem Regisseur am Theater Bonn Simon Solberg zusammen – gemeinsam entstand eine etwas andere Heldengeschichte.
Fellow 2025 Ketan Bhatti
Mit Tönen auf Irrfahrt: »Die Odyssee«

Seemansgarn enthält die Odyssee mehr als genug – auch in der Fassung von Solberg und Bhatti rudern die Gefährten um Odysseus gegen feindliche Winde des Meergotts Poseidon an, widerstehen den Sirenen, kämpfen gegen den einäugigen Zyklopen und zwängen sich an der Meerenge zwischen die beiden menschenfressenden Seeungeheuern Skylla und Charybdis hindurch.
Regisseur Simon Solberg nutzt die klassische deutsche Übersetzung des Epos von Johann Heinrich Voß. Er fügt im Sprachduktus des 18. Jahrhunderts aber seine eigenen Texte ein. Seine Fassung macht keinen Bogen um drastische Gewaltschilderungen. So wird die Angst und das Grauen erfahrbar, wenn die Gruppe um Odysseus immer wieder tödlich angegriffen wird. Das Bühnenbild ist jedoch ein abstrakter Nebelraum aus Seilen, Stoffbahnen und Aschefetzen – sind die Erlebnisse echt, oder ein Fiebertraum traumatisierter Kriegsheimkehrer? Vor welchen Dämonen fliehen sie wirklich?

Den Macher:innen des Stücks ist auch die Rolle von Odysseus Frau Penelope wichtig. Sie muss zu Hause in der langen Abwesenheit ihres Mannes ihre eigene Odyssee durchstehen. Bedrängt von den frauenfeindlichen Strukturen ihres Hofs kämpft sie darum, auch als vermeintliche Witwe ihre Selbstbestimmung zu behalten – im Epos versinnbildlicht mit ihrer List des Webens eines Brautschleiers, dessen Fäden sie heimlich wieder auflöst und neu wirkt. Doch vor allem stellt sie wieder und wieder die Frage in den leeren Raum: Warum musste ihr Mann in den Krieg ziehen? Wie konnte er sie verlassen?

Neben den Schauspieler:innen ist das Orchester der zentrale Mitspieler, positioniert auf der Bühne direkt hinter dem Geschehen. Ketan Bhatti komponierte für eine Kammerbesetzung des Beethoven Orchester Bonn einen Soundtrack, der wie Filmmusik die Szenen geradezu voranpeitscht. Mit Geräuschballungen von Streichern und Bläsern lässt er das Meer toben oder die Gewalt zwischen Odysseus’ Gefährten und feindlichen Inselbewohner:innen eskalieren. Jede Bewegung, sei es rhythmisches Rudern oder panische Flucht, wird mehr über die Ohren wahrnehmbar als über die Augen.
Den verschiedenen fremden Orten und fremdartigen Wesen dieser Irrfahrt weist Bhatti bestimmte Klangsignaturen zu, mit denen man als Zuhörer:in regelrecht wegtransportiert wird. Mit sanften Klängen der irakischen Spießgeige Djoze oder der armenischen Schalmei Duduk verwebt er Musiken verschiedener Herkunft zu einer Komposition, die er selbst als »mythische Musik« bezeichnet – »soweit wie möglich dem Ort enthoben«.

Die »Odyssee« dieser Inszenierung ist weitaus nachdenklicher, vielleicht kritischer mit sich selbst, als man es aus der klassischen Fassung gewohnt ist. Odysseus zweifelt – an sich selbst, an dem Sinn seiner Irrfahrt und seinen Entscheidungen. Er verfällt in Wahnträume, hört Visionen von seiner Frau Penelope, die ihm Vorwürfe macht, und klagt sein Schicksal an, obwohl er doch seinen eigenen Anteil an den Geschehnissen ahnt.

Immer wieder lotet Simon Solberg in seinen Dialogen die Ambivalenz aus, mit der die Gruppe der Gewalt von Krieg und Beutefeldzügen gegenübersteht. Odysseus will sich selbst als ehrenhaften Krieger sehen, verabscheut unnötige Raubzüge und Provokationen. Doch als er seine Gefährten nicht vor einem Angriff auf die Kikonen, Ureinwohner einer Insel zurückhalten kann, zieht er sich lediglich aus ihrem Vorhaben zurück – und die Gewalt eskaliert dennoch. Macht er es sich damit als Anführer zu leicht?

Auch die Zauberin Kirke hat ihren Auftritt – eine der bekanntesten Episoden aus der Odyssee. Doch ist es wirklich Magie, die Odysseus an die Hexe bindet und ihn seine Familie und Heimat vergessen lässt? Oder folgt er nicht seinen Begierden und entlarvt den eigenen Ehrenkodex als hohl?

Am Ende der Irrfahrt steht kein Happy End – ganz anders als im Originaltext von Homer. Telemach, der Sohn von Odysseus und Penelope, überlebt den finalen Kampf nicht, den Odysseus als Heimkehrer gegen die sogenannten Freier, zuhausegebliebene Edelmänner an seinem Hof, führt. Die Eltern stehen vor ihrem toten Kind und fragen: Warum musste das passieren? Wie konnte es sein, dass die Ehre Odysseus zum Kriegszug verpflichtete? Und warum fand er wirklich so viele Jahre nicht zurück?
»Die Odyssee« in dieser Fassung am Bonner Theater gerät so zur Anklage gegen den Krieg, aber sie stellt auch viele Fragen, die in uns allen nachhallen: nach Schuld, nach Heimat und nach den Hochs und Tiefs eines verworrenen Lebens-Irrwegs.
Die Premiere im Festival
- , Schauspielspielhaus Bad Godesberg
Ketan Bhatti & Simon Solberg: Die Odyssee
Tanz, Performance & MusiktheaterEnsemble Schauspiel Bonn, Beethoven Orchester Bonn, Dirk Kaftan
