Seine ersten Töne in Bonn spielte das Quatuor Ébène nicht in einem Konzertsaal, sondern im geschirrklappernden Stimmengewirr im Café Blau. Die Bar an unserer Festivalzentrale Viktoriabad bietet alles andere als ideale Bedingungen für ein Streichquartett. Dort auf der kleinen Bühne hatte der WDR die Mikros aufgebaut, um die Sendung »Tonart« live aufzunehmen. Quatuor Ébène machte hier den Auftakt seiner Residenz am Beethovenfest 2022: Gelegenheit für das Quartett, sich und die vier Konzertprojekte vorzustellen, die das Ensemble nach Bonn mitgebracht hat – Höhepunkte des diesjährigen Festivals, auf die wir hier zurückblicken.


Quatuor Ébène spielte für den Sender den ersten und zweiten Satz aus Leoš Janáčeks erstem Streichquartett, Beiname »Kreutzersonate«. Für das Live-Publikum ein magischer Moment: Selten hört man das Spitzenquartett in so einer trockenen, völlig unschmeichelhaften Akustik. Und gerade hier wurde das ganze Können und die absolute Leidenschaft der vier französischen Musiker:innen deutlich. Sie spielten gegen den Hintergrundlärm, als ginge es um ihr Leben. Trotz der mangelnden Resonanz des Raums erschufen sie einen Klang, der lebendiger, farbiger und schimmernder nicht sein könnte, der die stumpfe Geräuschkulisse verzauberte.

Ein Quartett im vollen Risikomodus
Später am gleichen Tag hörte man dann dasselbe Werk, das erste Streichquartett von Janáček, im Forum der Bundeskunsthalle. Der schöne Raumklang dort tat noch einiges dazu an Klangmagie. Doch das Phänomen Ébène erschöpft sich nicht in Schönklang. Klang ist für sie kein Selbstzweck, kein Wohlfühlpaket. Im Gegenteil gehen die vier Streicher:innen bis an die Grenzen der Instrumente. Mit Schostakowitschs 8. Streichquartett hatten sie ein Werk im Programm, wo klangliche Härten gefordert sind. Für das Quartett ist es entscheidend, im Moment der Aufführung jedes Mal anders und spontan zu gestalten. Cellist Raphaël Merlin erklärt das Rezept, wie das Zusammenspiel trotz risikoreicher Freiheit gelingt:
»Spontaneität ist nicht besonders schwierig zu erreichen: Es wäre viel anstrengender, alles festzulegen und immer wieder zu versuchen, eine exakte Kopie einer Interpretation zu abzuliefern.«

Quartett, Quintett, Sextett
Exakte Kopien kann man auch die Konzertprogramme nicht nennen, die das Quartett für seine vier Residenzkonzerte zusammenstellte. Die Wahl von Besetzungen und Werken lag dabei ganz beim Ensemble, was es als Vertrauensbeweis empfand. Raphaël Merlin resümiert:
»Es ist einfach dieses Vertrauen der Organisation und des Publikums selbst. Denn es ist noch relativ selten, dass wir nicht nur mit einem Konzert als Quartett eingeladen werden. Wir sind jetzt hier geehrt worden, dass wir unsere eigenen Konzertprojekte mitbringen durften. Diese Anerkennung, dieses Vertrauen bedeutet uns sehr viel.«
Mit den vier Konzerten ging das Quatuor Ébène weit über das Format Streichquartett hinaus. Drei der vier Konzerte waren Kollaborationen mit weiteren Kollegen, davon musste jedoch das Quintett mit Klarinettist Martin Fröst aufgrund seiner Erkrankung zu einem Quartettprogramm geändert werden.

Mit eigenen Studierenden der Musikhochschule München traten die Musiker:innen auf die Bühne des Kursaals Bad Honnef. Sie spielten Streichsextette von Peter I. Tschaikowsky und Richard Strauss. Für das Quartett ist es wichtig, die eigenen Studierenden zu fördern, aber auch der Lernprozess des Unterrichtens motiviert sie, erklärt Merlin. Das Zusammenspiel im Sextett stellt außerdem hohe mentale Ansprüche:
»Man braucht beim Spielen von Kammermusik ohne Dirigenten oder Dirigentin ein relativ schnelles Mitdenken. Man muss wie ein interner Bordcomputer immer genug Aufmerksamkeit und Antizipationsfähigkeit für die anderen Stimmen aufbringen. Wenn man zu acht ist, oder auch schon zu sechst, hat man noch mehr Information – für das Gehirn ist es anspruchsvoller. (…) Tschaikowsky zum Beispiel ist extrem dicht, es gibt immer sehr viel Information, und man muss sehr schnelle Reflexe haben und Ping Pong spielen.«
Für Merlin bildete dieses Sextettprogramm seinen persönlichen Höhepunkt der Residenz. Für viele Besucher:innen muss wohl das letzte Konzert ein heimlicher Höhepunkt der Residenz gewesen sein. Das Streichquartett trat in der Aula der Universität Bonn mit dem Cellisten Nicolas Altstaedt auf. Für die Stunde, während der das Streichquintett von Franz Schubert in diesem Raum erblühte, stand die Zeit still. Die Endlosigkeit, mit der die Musiker:innen die Linien der Melodien zu einem endlosen Gesang verbanden, transportierte sich bis in die letzten Saalreihen: Das Publikum stand nach dem letzten Ton geschlossen zur Standing Ovation auf.

Die erste Residenz für das Quatuor Ébène bei einer großen Konzertinstitution
Das Quatuor Ébène ist zur Zeit eines der führenden Streichquartette weltweit. Das Ensemble ist preisgekrönt, weltweit konzertierend und nachgefragt. Sein letztes großes Projekt, die Gesamteinspielung aller Beethoven-Streichquartette »Beethoven Around the World« von 2020, setzte international Maßstäbe. Dennoch konnte das Beethovenfest 2022 dem Ensemble noch zu einer Premiere verhelfen: Nämlich zu seiner ersten Residenz im Rahmen eines Festivals oder eines Hauses. Raphaël Merlin drückt für seine Kolleg:innen seinen Dank aus:
»Wir fühlen uns jetzt nicht mehr als Nachwuchsgeneration. Wir haben jetzt den Status als, wie soll man sagen, bestätigtes Ensemble. (…) Es ist ein neues Gefühl, nicht mehr so viel beweisen zu müssen, sondern vielleicht eine bürgerliche Verantwortung zu tragen. Das finde ich sehr schön, dass Bonn uns als erste Stadt so etwas schenkt.«
Man kann sagen: Die Ehre ist ganz unsererseits!

Die Residenz von Quatuor Ébène im Überblick
- , Bundeskunsthalle, Forum
Quatuor Ébène
Schostakowitsch, Janáček, Haydn
- , Stadttheater Rheinbach
Quatuor Ébène
Schumann, Mozart
