Wenn A Song For You auf die Bühne treten, ist Tanz ein integraler Bestandteil ihrer genreübergreifenden Performances. Auch in »A Soulful Missa« werden die Mitglieder von A Song For You nicht nur singen, sondern auch tanzen. Stephanie Ilova hat sowohl die drei großen Abschnitte Kyrie, Credo und Agnus Dei für das Projekt choreografiert, als auch für jedes der insgesamt fünf ›Chapters‹ kleine Kurzfilme erschaffen. Die Videos, die vor jedem Abschnitt eingespielt werden, erklären den inhaltlichen Rahmen und schaffen Brücken: »zwischen Beethoven und uns«, erzählt Stephanie Ilova in diesem Interview.
Als Kollektiv sucht A Song For You neue Ansätze des kreativen Ausdrucks und überschreitet dabei immer wieder vermeintliche Grenzen. Was zeichnet deine choreografische Arbeit mit dem Kollektiv und an diesem Projekt insbesondere aus?
Es gibt zwei Projekte: A Song For You (ASFY) und daran angegliedert das Tanzkollektiv Movement Seven, das ich leite. In der Arbeit mit ASFY bringen wir Menschen, die eigentlich singen, zum Tanzen, und fordern die Mitglieder des Chors immer wieder heraus, ihr künstlerisches Repertoire auch um Performance zu erweitern. Mir als professionelle Tänzerin und Choreografin macht es sehr viel Spaß mit Menschen zu arbeiten, die normalerweise nicht mit Tanz in Verbindung stehen!
In Bezug auf »A Soulful Missa« und die Zusammenarbeit mit ASFY steht die Begegnung auf Augenhöhe besonders im Fokus. Wir sind ein BIPoC-Kollektiv und gerade in Kontexten von tradierter europäischer Geschichte geht es darum, Momente auf Augenhöhe zu finden. Alle Performer:innen auf der Bühne auf eine Ebene zu stellen und Repräsentation zu schaffen, das ist auch für mich das, was in dieser Produktion am wichtigsten ist.
Welche Rolle spielt deine Choreografie dabei?
Je interdisziplinärer eine Performance ist, desto spannender ist sie! Wir versuchen, die zwei Kunstformen – Musik und Tanz – gleichwertig nebeneinander zu stellen, weil sie auch für unsere Performances gleichwertig wichtig sind. Es gibt immer verschiedene Weisen, eine Geschichte zu erzählen, zum Beispiel durch Instrumentation, Gesang, Tanz, Poesie oder Licht, die Menschen in unterschiedlicher Form berühren. Jede:r hat einen anderen Zugang zu Kunst. Tanz ist eines dieser Medien, das Menschen besonders gut abholt. Jeder Mensch hat einen Körper und kann sich mit Tanz identifizieren. So wie Musik eine universelle Sprache ist, ist es auch Tanz.
Wir haben vor einiger Zeit mit Noah Slee und Dhanesh Jayaselan über die Produktion von »A Soulful Missa« gesprochen. Beiden war eine »volle Ausnutzung von Sound, Raum & Licht für alle Sinne« dabei sehr wichtig. Inwiefern trifft das auch auf deine Arbeit als Choreografin zu?
Mit Licht kann man in bestehenden Räumen neue Räume schaffen. Man kann bestimmte Dinge hervorheben und die ›message‹ noch mehr unterstützen. Eine sehr dramatische Stelle zum Beispiel, in der Licht-Spots einzelne Personen sichtbarer werden lassen, erzählt sich so greifbarer. Und mehr Sinne anzusprechen, erleichtert Menschen den Zugang zu klassischer Musik, die normalerweise vielleicht nicht die Geduld dafür haben – um sich in Zeiten von TikTok eineinhalb Stunden auf etwas einzulassen, muss man heute Anreize schaffen!
Für »A Soulful Missa« wurde die grundsätzliche fünfteilige Form der »Missa solemnis« Beethovens übernommen und in fünf große »Chapter« umgewandelt. Die Überschriften des Originals bleiben Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und Agnus Dei. Beeinflusst der Beethoven-Hintergrund auch dich als Choreografin?
Ich habe mich im Vorfeld hingesetzt und überlegt, was bedeutet das eigentlich? Wofür steht das in der Messe normalerweise? Ich habe mir Noahs Reinterpretation durchgelesen und mir die Musik angehört. Jede:r kennt Beethoven, die »Missa solemnis« ist ein Stück Musikgeschichte! Überhaupt die Ehre zu haben, das zu bearbeiten, seinen eigenen Senf dazuzugeben und die eigene Kunstform und Kunstsprache damit zu vereinigen, hat sich nach einer großen Verantwortung angefühlt. Wie kann man damit umgehen? Wie wird man einem Beethovenstück gerecht, aber wie werden wir auch unserem Hintergrund gerecht? Wie kann man das beides nebeneinanderstellen und zueinander sprechen lassen? Es ist also ein großer Einfluss gewesen!
Wenn ich ans Christentum denke und an Messen, denke ich auch an meinen pazifischen Hintergrund. Ich komme aus Papua-Neuguinea und im pazifischen Bereich ist Missionsarbeit im letzten Jahrhundert sehr wichtig gewesen, im positiven wie im negativen Sinne. Was bedeutet also Christentum für mich als Person mit Kolonialhintergrund? Ich fand es spannend, damit umzugehen und zu schauen, wie man all den verschiedenen Gefühlen, Einstellungen und politischen Kontexten, die dazu aufkommen, gerecht werden kann.
Vor jedem Kapitel der Aufführung von »A Soulful Missa« werden wir kurze Einspieler erleben, die du als Regisseurin gestaltet hast. Was ist die Idee der Videos und was sollen sie vermitteln?
Während Orchester und Chor pausieren, werden fünf Kurzfilme ohne Musik und mit jeweils einem Gedicht präsentiert. Vor allem in diesen Gedichten, geschrieben von mir und meiner Freundin und ASFY-Mitglied Sorvina Carr haben wir uns damit auseinandergesetzt, was Kyrie, Gloria, Credo etc. bedeuten – in Beethovens Messe, im Allgemeinen in Messen und in der Interpretation von ASFY. Es geht sehr viel um ›reclaming‹, also Ermächtigung und Repräsentation.
Gemeinsam mit dem Videografen Shawn Fitzgerald Ahern, der selbst Tänzer und Choreograf ist und wunderschöne Tanzfilme produziert, durften wir im Konzerthaus in Berlin die Videos drehen, was natürlich auch als Ort viele Bilder hochkommen lässt. Die Kurzfilmreihe habe ich unter dem Arbeitstitel »Monument« laufen lassen. Schon die »Missa solemnis« ist ein Monument der Musikgeschichte. Die Fragestellung, die sich durch alle Videos zieht, ist: Was sehen wir in unserer Gesellschaft als Monument? Zu wem schauen wir auf? Wie können wir vor allem für ›black and brown bodies‹ im Kontext von so traditionsreicher europäischer, weißer Geschichte sowas wie Augenhöhe, Selbstbestimmung, Gleichberechtigung schaffen? Darum geht es in den Videos.
Jedes Kapitel der Messe hat einen eigenen Charakter. Vom demütigen, aber hoffnungsvollen Kyrie bis zum Credo als kontrastreiches, aber zugleich kollektives Bekenntnis. Spiegelt sich das in den Kurzfilmen wider? Wie hast du die Einspieler choreografisch gestaltet?
Ich denke, dass die Einspieler eine Brücke schaffen, von der Auseinandersetzung mit Beethoven zu uns. Ein Teil besteht aus Bildern von sehr prägnanten Tanzstilen aus nicht-europäischer oder nicht-weißer Tanzkultur: eine Voguing-Tänzerin war dabei, eine Krumping-Tänzerin und auch meine eigene Version von pazifischem Tanz. Die Tänzer:innen sind wie Statuen, die zum Leben erwachen – am Ende ist der Raum dann leer, weil sie in die Freiheit gegangen sind … Aber ich will nicht zu viel verraten!
Gibt es noch etwas, das du dem Publikum vor der Aufführung mitgeben willst?
Mein Tipp an das Publikum ist, sich darauf einzulassen, Beethoven anders zu erleben als gewohnt, ohne Erwartungen daran heranzugehen und mit der Offenheit, etwas Neues zu sehen. Vor allem im klassischen Bereich freuen sich viele darauf, etwas zu sehen, das man ›schon einmal‹ gesehen hat. Hier wünsche ich mir Offenheit dafür, etwas zu sehen, dass vielleicht noch nicht perfekt ist, auch einlädt, nicht perfekt zu sein und dieses sehr intellektuelle Konzept, das wir oft mit klassischen Konzerten verbinden, auf einer menschlichen Ebene zu erfahren.
Die Aufführung im Festival
, Telekom Forum
A Soulful Missa
Beethoven Orchester Bonn, A Song For You, Dirk Kaftan