Mahler Chamber Orchestra
Anastasia Kobekina Violoncello
(Beethovenfest Residenz)
Maxim Emelyanychev Dirigent
28.8.– 27.9. 2025
Mahler Chamber Orchestra
Anastasia Kobekina Violoncello
(Beethovenfest Residenz)
Maxim Emelyanychev Dirigent
Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
Sinfonie Nr. 20 D-Dur KV 133
I. Allegro
II. Andante
III. Menuetto e Trio
IV. Allegro
Dmitri Schostakowitsch (1906–1975)
Cellokonzert Nr. 1 Es-Dur op. 107
I. Allegretto
II. Moderato
III. Cadenza
IV. Allegro con moto
Pause
Peter Tschaikowsky (1840–1893)
Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64
I. Andante – Allegro con anima
II. Andante cantabile con alcuna licenza
III. Valse. Allegro moderato
IV. Finale. Andante maestoso – Allegro vivace
Kann Musik über sich selbst hinauswachsen? Kann sie Autobiografie sein? Wie viel Mensch steckt zwischen den Tönen? Anastasia Kobekina, Maxim Emelyanychev und das Mahler Chamber Orchestra präsentieren mit Werken von Wolfgang Amadeus Mozart, Dmitri Schostakowitsch und Peter Tschaikowsky klingende Zeugnisse von intensiven Lebensphasen und Ausnahmesituationen.
Mozart ist mit 16 Jahren an der Schwelle zum Erwachsenwerden, als er in Salzburg seine 20. Sinfonie komponiert. Sie ist voller Überraschungen. Ein jugendliches Genie gibt selbstbewusst seine Visitenkarte ab.
»Du musst alles geben«, sagt Anastasia Kobekina über Schostakowitschs erstes Cellokonzert. Eine Abrechnung mit Stalins Schreckensherrschaft? Auf jeden Fall ein Werk, wie ein Kampf des Individuums gegen eine kollektive Übermacht, findet sie.
»Ist es nicht an der Zeit, aufzuhören?«, sinniert Tschaikowsky zwischen depressiver und manischer Phase und notiert zeitgleich über dem ersten Satz seiner fünften Sinfonie: »Völlige Ergebung in das Schicksal.«
Jeder Mensch jenseits des 20. Lebensjahrs kann es bestätigen – und Eltern sind sogar doppelt erfahren: Pubertät ist ›ultra‹! Zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt lassen die Hormone oftmals nur einen Atemzug Zeit. Ist das im Leben eines hochbegabten Genies anders? Wohl kaum. Leopold Mozart verfolgte diese Phase seines Sohns mit Sorge. Und er trug Mitschuld daran, dass Wolfgang Amadeus in seinen jungen Jahren schier aus den beengenden Salzburger Mauern ausbrechen wollte. Hat er ihm doch selbst den Horizont geöffnet: Auf gemeinsamen Konzertreisen zeigte er ihm die Welt und entfachte die Liebe zum Musikland Italien in ihm.
Und so wartete der Jugendliche im Sommer 1772 sehnsüchtig auf die nächste Reise in den Süden, die dann ab Oktober stattfinden sollte. Dass die Salzburger Anstellung als Konzertmeister der Hofkapelle nur eine Zwischenlösung war, da schien sich der 16-Jährige sehr sicher. Dem Vater jedenfalls lag er bereits intensiv in den Ohren mit seiner Überzeugung, »dass Salzburg kein Ort für mein Talent ist«. Dieses Talent bewies er in jenen Monaten eindrucksvoll mit einer Serie von Sinfonien – darunter seine zwanzigste, heute gezählt als KV 133. Ein Werk, das selbstbewusst mit extravagantem Trompetenglanz auftrumpft. Mozart testete, was er sich in dieser Gattung zutrauen konnte. Und das ist eine Menge. Dramatische Kontraste, mutige Form-Experimente, raffinierte Klangwirkungen: Diese strahlende D-Dur-Sinfonie ist hörbar ein Meisterwerk eines jungen Mannes, in dem es kribbelte und brodelte – und der bereit war, seine Umwelt aus der Reserve zu locken.
Steht Musik in direktem Zusammenhang mit dem Leben der Komponist:innen? Wer, wenn nicht Dmitri Schostakowitsch hätte diese Frage mit einem klaren »Ja« beantwortet. Seine Biografie spannt sich auf zwischen Repressalien, Unterdrückung und dem trotzigen Ankomponieren gegen politische Eiszeiten in der Sowjetunion. Nicht nur einmal stand er direkt unter Beschuss, musste sich wieder und wieder für seine künstlerischen Ansichten rechtfertigen, wurde öffentlich als Volksfeind gebrandmarkt und spürte die reelle Gefahr um Leib und Leben. Mstislaw Rostropowitsch – Cellist, Dissident und Weggefährte Schostakowitschs – wusste um dessen Gemütsverfassung: »›Ja, die Partei und die Regierung sind meine Lehrmeister‹«, habe Schostakowitsch gegenüber der Öffentlichkeit verkündet. »Zu mir persönlich aber sagte er: ›Wissen Sie, hier kann man nicht atmen, hier kann man nicht leben.‹«
»Seine Musik spiegelt seine Zeit und seinen inneren Zustand«, ist auch Anastasia Kobekina überzeugt. Immer sei darin hörbar, »wie man unter Druck, unter Lebensgefahr komponiert«. Schostakowitschs Cellokonzert Nr. 1 ist für sie der »totale Irrsinn«: »Wir lächeln, obwohl wir bald sterben werden.«
Energisch hebt das Werk an, fast trotzig, irgendwie übermütig. Schostakowitsch schrieb das Konzert 1959 für Rostropowitsch und im Rückblick auf einen schweren Lebensabschnitt: die Stalin-Zeit mit ihrer restriktiven Kulturpolitik, ihrer Willkür und ihrer Unmenschlichkeit. Schostakowitsch hatte massiv darunter gelitten. Das Cellokonzert gilt als eines seiner Werke, die mit Stalin und dessen Regime unverhohlen abrechnen. Für Anastasia Kobekina symbolisiert es das Ringen des Individuums mit einem ganzen System: »Du musst alles geben, um gegen die Kraftwellen des Orchesters anzukommen.«
Aufwühlende Energie beherrscht besonders die Außensätze. Anders der zweite Satz: Ein gequälter Gesang in hohen Flageolett-Tönen beschwört eine entrückt-bedrückende Stimmung herauf. Kobekina empfindet in dieser Passage eine Leere nach emotionaler Verausgabung: »Man hat alles gegeben, geschrien, so stark, dass man einfach nichts mehr spürt.« Es folgt ein vollkommen in sich gekehrter Monolog des Cellos, der zunehmend in Wahnsinn abgleitet. Abrupt geht es in den letzten Satz. Ein Finale wie eine böse Satire, die mittendrin die Fratze Stalins zeigt: Schostakowitsch zitiert in einer verzerrten Version dessen liebstes Volkslied, das bei keinem Auftritt des Despoten fehlen durfte.
Im Sommer 1888 meinte es das Leben gut mit Peter Tschaikowsky. Noch wenige Monate zuvor klang es auf einer Konzertreise in seinem Tagebuch anders: »Schreiben für wen? Weiterschreiben? Lohnt sich denn das alles noch?« Aber jetzt hatte ihn die Heimat wieder. Gerade war der Komponist auf das Landgut Frolowskoje nahe der Stadt Klin nordwestlich von Moskau gezogen. Hier stellte sich die notwendige Ruhe und Muße für seine schöpferische Tätigkeit endlich wieder ein. »Ich will jetzt tüchtig arbeiten, um mir selbst, aber auch den anderen zu beweisen, dass ich mich noch nicht ausgeschrieben habe«, berichtete er seiner Mäzenin und engen Brieffreundin Nadeshda von Meck und ließ den Worten Taten folgen: Für die Komposition seiner fünften Sinfonie benötigte er nur kurze Zeit.
Trotzdem keimten die Zweifel: »Ist es nicht an der Zeit, aufzuhören? Habe ich meine Phantasie nicht überanstrengt? Ist die Quelle vielleicht schon versiegt?« Und auch an seiner so rasch niedergeschriebenen Fünften, die mit ihrer Melodienseligkeit schnell zu einem seiner beliebtesten Werke avancierte, ließ er später kein gutes Haar: »Nach jeder Aufführung meiner neuen Sinfonie empfinde ich immer stärker, dass dieses Werk mir misslungen ist. Die Sinfonie erscheint mir zu bunt, zu massiv, zu künstlich, zu lang, überhaupt unsympathisch.«
Vielleicht war ihm die Sinfonie einfach zu persönlich geraten und als eine Art öffentliches Seelenbekenntnis bald unangenehm? Das rätselhafte Programm, das er zu ihr notierte, weist jedenfalls ganz unverhohlen auf Gefühlszustände. Zum ersten Satz heißt es: »Introduktion. Völlige Ergebung in das Schicksal oder, was dasselbe ist, in den unergründlichen Ratschluss der Vorsehung. Allegro: Murren, Zweifel, Klagen, Vorwürfe.« Und über dem zweiten Satz, in dem sich zunächst fast bedrohlich die tiefen Streicher äußern, das Horn aber versöhnliche Töne anstimmt, steht die geheimnisvolle Frage: »Soll ich mich dem Glauben in die Arme werfen???«
Gleich zu Beginn der getragenen Einleitung stellen die Klarinetten ein düster-sinnendes Motiv vor, das für die ganze Sinfonie zur wiederkehrenden ›Idée fixe‹ wird. Immer wieder wird die Tonfolge zum mahnenden Einwurf und dringt unheilschwanger in andere Themen hinein. Auch den eleganten Walzer des dritten Satzes konterkariert dieses Leitthema. Erst im vierten Satz bricht sich zuversichtliche Stimmung Bahn: Triumphierend in strahlendem E-Dur schließt das Werk in einem beinahe übertriebenen Jubel.
Ilona Schneider
»Warum ich Schostakowitsch und Tschaikowsky mit einer Kammerorchester-Besetzung aufführe? Das entspricht auch der historischen Praxis. Man weiß, dass Tschaikowsky etwa seine großen Opern mit kleinen Orchestern uraufgeführt hat. Und ich bin sehr glücklich, das mit dem Mahler Chamber Orchestra tun zu können – es ist eine unglaubliche Gruppe von Musiker:innen.«
– Dirigent Maxim Emelyanychev
Was macht Schostakowitschs Cellokonzert Nr. 1 »ultra«?
Es ist das Spektrum menschlicher Emotionen, das sich darin auf intensivste Weise entfaltet. Das Individuum, repräsentiert durch das Solo-Cello, sieht sich konfrontiert mit der seelenlosen Maschinerie des Systems, verkörpert durch das Orchester. Für mich steckt darin etwas ultra Expressives. Die Gefühlspalette reicht von größter Tragik bis zu extremem Sarkasmus. Und die Klangpalette erst: Knirschendes Metall, schneidende Töne und Schreie aus tiefstem Herzen.
Welche Relevanz hat dieses Werk im Jahr 2025?
Auch heute blühen Diktaturen, die den Einzelnen und seine Freiheit unterdrücken. Schostakowitschs Musik spiegelt seine Zeit wider, könnte aber in dieser Hinsicht für unsere Gegenwart nicht relevanter sein.
»Aber alles, mein Teuerster, ist jetzt ultra«, schrieb Goethe an den befreundeten Carl Friedrich Zelter. Was ist heutzutage »ultra«?
Alles ist ultra-schnell. Entscheidungen zu treffen, ist ultra. Es gibt ultra-viele Möglichkeiten und ultrawenig Zeit. Deshalb ist die Ultra-Herausforderung auf dieser rasanten Lebensautobahn zu lernen, sich auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren.
Wir – das Beethovenfest Bonn – laden ein, in einem offenen und respektvollen Miteinander Beethovenfeste zu feiern. Dafür wünschen wir uns Achtsamkeit im Umgang miteinander: vor, hinter und auf der Bühne.
Für möglicherweise auftretende Fälle von Grenzüberschreitung ist ein internes Awareness-Team ansprechbar für Publikum, Künstler:innen und Mitarbeiter:innen.
Wir sind erreichbar über eine Telefon-Hotline (+49 (0)228 2010321, im Festival täglich von 12–20 Uhr) oder per E-Mail (awareness@beethovenfest.de).
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Das Beethovenfest Bonn 2025 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Julia Grabe
Lektorat:
Heidi Rogge
Die Texte von Ilona Schneider sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.