Alexej Gerassimez Schlagwerk
Lukas Böhm Schlagwerk
Emil Kuyumcuyan Schlagwerk
Sergey Mikhaylenko Schlagwerk
Nicolai Gerassimez Klavier

Digital programme booklet (in German)
Sat. 13.9.
19:30, Straßenbahnhalle Dransdorf
Alexej Gerassimez: Five Elements
Mitwirkende
Dieses Konzert wurde organisiert durch die Beethovenfest-Schülermanager:innen.
Programm
»Five Elements«
Alexej Gerassimez (*1987)
»Soul of Bottle«
Alexej Gerassimez
»Echtonan«
Steve Reich (*1936)
»Music for Pieces of Wood«, Fassung für Stein-Instrumente
Alexej Gerassimez
»Piazonore« für Vibrafon
Alexej Gerassimez
»Asventuras« für Kleine Trommel
Pause
Alexej Gerassimez
Suite of Elements, »Water«
Simeon ten Holt (1923–2012)
»Canto Ostinato«, Canto Ostinato I
Alexej Gerassimez
Suite of Elements, »Wood«
Simeon ten Holt
»Canto Ostinato«, Canto Ostinato II
Alexej Gerassimez
Suite of Elements, »Stone«
Simeon ten Holt
»Canto Ostinato«, Canto Ostinato III
Alexej Gerassimez
Suite of Elements, »Metal«
Simeon ten Holt
»Canto Ostinato«, Canto Ostinato IV
Alexej Gerassimez
Suite of Elements, »Skin«
Simeon ten Holt
»Canto Ostinato«, Canto Ostinato V
Dieses Konzert wird gefördert durch
Einleitung
»Five Elements«
In früheren Zeiten war das Schlagzeug der »Geschmacksverstärker« im Orchester oder in der Kapelle: Große und kleine Trommeln gaben den Marsch-Rhythmus an, zum Xylofon tanzten die Skelette, das Drumset brachte die Musik zum Swingen. Mittlerweile haben sich die Perkussionist:innen von der Begleitung anderer Instrumente emanzipiert. Ihr Klangarsenal reicht von der Plastikflasche über Steine und Bremstrommeln bis zum afrikanischen Balafon. Und fantastische Musiker:innen wie Alexej Gerassimez bestreiten mühelos ein ganzes Konzert aus Alltagsgegenständen, Naturklängen und hochkomplexen Schlaginstrumenten.
Im Zentrum des heutigen Abends steht Gerassimez’ eigene »Suite of Elements«, deren Sätze sich mit dem legendären »Canto ostinato« vom Niederländer Simeon ten Holt abwechseln. Eine pulsierende, hypnotisierende »Lebensreise« mit dem Meister-Perkussionisten und seinem Ensemble.
Konzept
»Die Welt ist Klang«
»Für mich als Schlagzeuger gibt es keine Grenzen zwischen ›Instrument‹ und ›kein Instrument‹, zwischen ›Musik‹ und ›keine Musik‹.«
Alexej Gerassimez ist ein Verfechter der großen Freiheit in der Musik. Für ihn ist das Schlagzeug keine Rhythmus-Maschine, die den Melodie-Instrumenten auf die Sprünge hilft, sondern ein eigener Kosmos. Oder besser: jeder Gegenstand, der sich irgendwie mit Händen, Stöcken, Schlägeln oder Hämmern zum Klingen bringen lässt, ist eine akustische Welt für sich. Denn Gerassimez nimmt als Musiker alles ernst, was über Jahrhunderte durch die Maschen der westlichen ›Hochkultur‹ fiel. Behutsam nähert er sich dabei dem Charakter und den Möglichkeiten der Dinge, die er in der Natur, im Haushalt, auf dem Flohmarkt oder im Müllcontainer findet. Wasser tropft durch Küchensiebe, Bambusrohre werden auf ihre Klangzonen abgeklopft, zerbrochene Fliesen jubilieren, dumpfe Holzbalken suchen den Dialog mit schweren Eisenpfannen.
»Es ist Teil meiner Identität, dass ich mit offenen Ohren durch die Welt laufe. Ich bin in Essen aufgewachsen. Als Kind musste ich zur Schule über eine riesige Kreuzung gehen. Auf den Verkehrsinseln standen Ampeln mit elektrischen Kästen, die geklickt haben. Davon gab es fünf oder sechs – das ergab zusammen ein Klick-Konzert. Ich ging von Verkehrsinsel zu Verkehrsinsel und hörte verschiedene Rhythmen. Ich fand das geil – aber habe gemerkt, dass ich anscheinend der einzige war, den das begeistert. Später bin ich extra noch einmal dort hingefahren, nachts, um diesen Rhythmus mit einem Aufnahmegerät einzufangen. Ich habe die Aufnahme immer auf meinem Handy dabei, zusammen mit anderen Geräuschen, die ich irgendwo gesammelt habe. Zum Beispiel eine Zeitschaltuhr einer Wärmelampe oder ein Druckergeräusch. Ich mag die Präzision dieser Rhythmus-Delikatessen. Sie inspirieren mich als Schlagzeuger, sind in meinem Kopf. Manche von ihnen landen auf der Bühne, in meinen Stücken.«
– Alexej Gerassimez
Das Schülermanagement
»Durch das Schülermanagement konnten wir nicht nur kreative Inhalte selbst gestalten, sondern auch lernen, wie wichtig und vielseitig die Planung und Teamarbeit hinter den Kulissen eines Konzerts sind.« – Felix, Schülermanager 2025 im Bereich Online-Redaktion
Hinter der Bühne sind Bonner Schüler:innen aktiv: Das langjährige Education-Projekt des Beethovenfests holt sich junge Menschen direkt ins Team und überlässt ihnen die organisatorische Verantwortung für ausgewählte Konzerte. Die Schülermanger:innen sind für die logistische Planung, die Betreuung der Künstler:innen, die Werbung, den Ticketverkauf, begleitende Workshops und alles Weitere zuständig.
»Das Schülermanagement-Projekt trägt dazu bei, dass Jugendliche sich – oft zum ersten Mal – als selbstwirksam, als kreativ und autonom erfahren können. Viele beschreiben diese Erfahrung Jahre später noch als prägend für ihr weiteres Leben.« – Marion Leuschner, Beethovenfest-Team
Werkeinführungen
Erste Konzerthälfte
Alexej Gerassimez
»Soul of Bottle«
Der Titel seines Stücks »Soul of Bottle« für eine akustisch verstärkte Plastikflasche deutet an, dass es Gerassimez nicht nur um den Sound geht, sondern um die Seele eines Klangerzeugers, um seine Geschichte und das, was wir als Hörer:innen damit verbinden. Vielleicht erzählt da eine Plastikflasche von ihrer Produktion in China. Von ihrer Reise auf dem Containerschiff bis zum Verkauf in einem schwedischen Supermarkt oder auf einem kenianischen Straßenmarkt. Vom kühlenden Wasser, das in die Kehle sprudelt. Oder von der Vermüllung der Erde und der Meere mit jährlich 400 Millionen Tonnen Plastik – »Soul of Bottle«. Auch die Instrumente, die heute zur traditionellen Ausbildung der Schlagzeuger:innen an den Musikhochschulen gehören, haben ihre Geschichte. Die Marimba zum Beispiel stammt aus Südamerika und hat viele Verbindungen mit den afrikanischen Xylofon-Arten. Unter den geschlagenen Holzplatten befinden sich Resonanzröhren, die den warmen, geheimnisvollen Klang der Marimba verstärken.
Alexej Gerassimez
»Echtonan«Alexej Gerassimez entwickelt in seinem Stück »Echtonan« alte kontrapunktische Techniken weiter, das heißt Regeln zum Zusammen- beziehungsweise Gegenspiel mehrerer Stimmen, die seit der europäischen Renaissance die mehrstimmige Musik bestimmen. Eine der ältesten Techniken, die auch in der Volksmusik eine Rolle spielt, ist der Kanon. Hier setzen die Stimmen nacheinander in bestimmten Abständen mit der (in der Regel) gleichen Melodie ein – wenn die gut konzipiert ist, ergibt sich ein harmonischer Zusammenklang. Gerassimez hat dieses Grundprinzip in »Echtonan« verfeinert und führt die beiden Spieler mit rhythmischen Schichtungen und Verschiebungen durch das Stück.
»Beide spielen über große Strecken hinweg in unterschiedlichen Taktarten gegeneinander. Das Tempo bleibt jedoch ein gemeinsames, woran sie sich orientieren können«.«

Steve Reich
»Music for Pieces of Wood«Obwohl bei heutigen Schlagzeug-Konzerten oft ein Riesenarsenal an Instrumenten die Bühne füllt, liebt Alexej Gerassimez die Reduktion auf wenige Klangfarben, um »die klangliche Aussagekraft eines einzelnen Materials zu erforschen«. Gelegenheit dazu gibt ihm das Stück »Music for Pieces of Wood« von Steve Reich. Der 1936 in New York City geborene Musiker, der neben Klavier auch Schlagzeug studierte und einen Bachelor in Philosophie machte, gehört neben Philip Glass zu den legendären Protagonist:innen der sogenannten ›Minimal Music‹. Die basiert auf sehr reduzierten, vor allem rhythmischen Bausteinen (›patterns‹) mit einem durchgehenden Puls, ist aber im Ablauf höchst raffiniert organisiert. Das Prinzip von Reichs Stück für fünf gestimmte Holzblöcke ist, allmählich neue rhythmische Module hinzuzufügen oder wegzunehmen. Außerdem verschiebt er sie gegeneinander und erzeugt damit ein dichtes Raster, das immer in Bewegung bleibt. Gerassimez und seine Mitspieler ersetzen die originalen Wood Blocks heute durch Steine unterschiedlicher Größe.

Alexej Gerassimez
»Piazonore« & »Asventuras«Zwei weitere Eigenkompositionen von Gerassimez runden den ersten Teil des Konzerts ab. »Piazonore« ist, wie die Kombination aus (Ástor) Piazzolla und »onore« (italien. Huldigung) andeutet, eine Hommage an den argentinischen Komponisten, ›Gott‹ des Tango Nuevo. Im letzten Drittel klingt Piazzollas berühmter »Libertango« an: Für Gerassimez war er der Ausgangspunkt einer Improvisation für Vibrafon und Klavier, die er in »Piazonore« zu einer Fantasie über die Melancholie und den großen Atem des Tangos entwickelt.
Das virtuose Gegenstück dazu ist »Asventuras«, ein Solo für die kleine Trommel, die hier einmal eine Klanggeschichte abseits der Marschmusik erzählt. Am Beginn tanzen die Trommelstöcke einen kecken ›Pas de deux‹, dann wird das Fell der Trommel mit Sticks, Fingernägeln, einem Filzschlägel oder einem Jazz-Besen bearbeitet. Und am Ende weiß man nicht mehr, ob hier ein oder nicht gleich mehrere Trommler in Aktion sind.

Zweite Konzerthälfte
Simeon ten Holt
»Canto ostinato«Im Zentrum der zweiten Konzerthälfte steht das Hauptwerk des Niederländers Simeon ten Holt, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Paris bei Darius Milhaud und Arthur Honegger in die Lehre ging. Während der 2012 verstorbene Komponist in seiner Heimat eine Art Kultfigur ist, kennt man ihn international vor allem durch sein Werk »Canto ostinato« – ein Stück für eine beliebige Anzahl von Spieler:innen und Instrumenten, das in den 1970er-Jahren entstanden ist und seitdem immer wieder in verschiedenen Fassungen (vor allem mit vier Klavieren) realisiert wurde.
Die Musik hat Charakteristika der Minimal Music, etwa das durchgehende Tempo von 60 Schlägen pro Minute. Doch »Canto ostinato« (etwa: unaufhörlicher Gesang) unterscheidet sich durch seinen meditativen Charakter und die eher romantische Harmonik von der konstruktiven Strenge eines Steve Reich oder Philip Glass. Ten Holts Partitur besteht aus 106 »sections«, musikalischen Bausteine aus jeweils wenigen Takten, die einmal oder mehrfach gespielt werden können. Das entscheiden die Musizierenden eigenständig im Moment der Aufführung. In Überleitungsabschnitten, den sogenannten »bridges«, kommen die Interpret:innen wieder zusammen, um anschließend erneut in eine Phase mit selbstständigen Entscheidungen zu starten. Das Ergebnis ist ein Fluss, der zwischen zwei Stunden und einem ganzen Tag fortlaufen kann.
Alexej Gerassimez
»Suite of Elements«Alexej Gerassimez und sein Ensemble durchsetzen ihre Version des »Canto ostinato« für zwei Vibrafone, zwei Marimbas und Klavier mit Sätzen aus der »Suite of Elements«. In seiner Komposition richtet Gerassimez erneut den Fokus auf das Klangmaterial, das hier geradezu systematisch erkundet wird. Wie in Steve Reichs Stück werden verschiedene Steine und Steinplatten auf einem Tisch mit Sticks angeschlagen, Metall-, Holz- und Fellobjekte werden auf ihre Klangeigenschaften ausgelotet oder Wasser in Becken zum Rauschen, Strudeln und Tröpfeln gebracht.
»Ich habe die Schlaginstrumente nach ihrem Material sortiert: Fell, zum Beispiel Pauke, Snare Drum. Holz, zum Beispiel Marimbafon, Wood Blocks. Metall, zum Beispiel Becken. Dann habe ich noch die Materialien Wasser und Stein gewählt. Jeder Teil des Stücks »Five Elements« ist auf eine dieser Materialgruppen beschränkt. Dadurch ist meine Farbpalette kleiner. Was kann ich aus den begrenzten Klangfarben nur einer Instrumentenfamilie herausholen? Das ist das Prinzip des Stücks.«
Alexej Gerassimez über den Kompositionsprozess von »Suite of Elements«
»Die Welt ist Klang« – der berühmte Buchtitel des Jazz-Journalisten Joachim-Ernst Berendt könnte auch über den Expeditionen des heutigen Abends zum unerwarteten Reichtum der Klänge stehen, die uns überall umgeben, aber meist erst durch Kreativität befreit werden müssen.
Text: Michael Struck-Schloen
Wir danken den Mitgliedern des Freundeskreises
Biografien
Konzerttipps
Mehr Percussion
im BeethovenfestAwareness
Awareness
Wir – das Beethovenfest Bonn – laden ein, in einem offenen und respektvollen Miteinander Beethovenfeste zu feiern. Dafür wünschen wir uns Achtsamkeit im Umgang miteinander: vor, hinter und auf der Bühne.
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Das Beethovenfest Bonn 2024 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Julia Grabe
Die Texte von Michael Struck-Schloen sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.