Eine Spurensuche an Orten der Demokratie

Von Hartmut Palmer

Als der Parlamentarische Rat unter Vorsitz des späteren Kanzlers Konrad Adenauer mit der Arbeit am Grundgesetz begann und sich zum ersten Mal am 1. September 1948 in Bonn versammelte, ahnte niemand, dass an diesem Tag in der Lichthalle des Zoologischen Museums Alexander Koenig – zwischen ausgestopften Tieren – das bisher erfolgreichste Kapitel der deutschen Demokratiegeschichte beginnen sollte. Deutschland war besiegt, die Städte lagen in Trümmern, den Vätern und Müttern des Grundgesetzes, wie sie später genannt wurden, waren die Entbehrungen der Kriegsjahre anzusehen. 

Das schöne weiße Haus auf der anderen Straßenseite, die Villa Hammerschmidt, in das zwei Jahre später der erste Bundespräsident Theodor Heuss einziehen sollte, war noch von belgischen Soldaten okkupiert. Und auch das benachbarte Palais Schaumburg, in dem einst die Preußen-Prinzessin Victoria, eine Schwester des letzten deutschen Kaisers, einem Hochstapler und Heiratsschwindler auf den Leim gegangen war, wurde noch militärisch genutzt. Niemand konnte sich damals vorstellen, dass ein deutscher Kanzler vor dem kleinen Schlösschen mit dem runden Turm, einmal Könige, Präsidenten, und sogar einen Kaiser würde begrüßen können. Aber genauso kam es. Bis 1976 war das Palais Schaumburg Amtssitz der Kanzler Adenauer, Erhard, Brandt und Schmidt. Dann zog man um in den Neubau nebenan.

In Bonn waren alle demokratischen Institutionen der Bundeshauptstadt zu Fuß erreichbar: Exekutive und Legislative, Medien-, Lobby- und Landesvertretungen lagen so eng beieinander, wie in kaum einer anderen Hauptstadt der Welt. Hier musste man sich nicht unbedingt verabreden. Anders als in Berlin, London oder Paris traf man auf der Straße (und in den umliegenden Kneipen) als Journalist häufig spontan und ungeplant Leute aus der Politik und man erfuhr im Vorübergehen mitunter mehr als auf jeder Pressekonferenz. Diese Nähe hat die Bonner Republik geprägt. Sie war einzigartig.

Den Hauptstadt-Titel hat Bonn verloren. Der Phantomschmerz über den Verlust ist bis heute ablesbar. Immer noch heißt eine U-Bahn-Station »Auswärtiges Amt«, obwohl es dort kein Außenministerium mehr gibt. Und das inzwischen höchste Gebäude der Stadt, direkt neben der Reuterbrücke, läuft (auch ohne Kanzler) unter der Top-Adresse »Neuer Kanzlerplatz«.

Beethovens Geburtsstadt aber ist Bonn geblieben. Die nach dem Musiker benannte Beethovenhalle war in der Hauptstadt-Zeit sogar jahrelang das einzige Bindeglied zwischen dem kulturellen und dem politischen Bonn. In dieser Halle, 1959 auf den Trümmern einer im Krieg zerstörten Klinik eingeweiht, wurden in der Zeit von 1974 bis 1989 vier Bundespräsidenten gewählt. Alle im Bonner Bundeshaus vertretenen Parteien hielten dort Parteitage ab, zuletzt die Grünen 1998. Und von 1969 bis 1998 feierten die in der Bundespressekonferenz akkreditierten Journalisten in der Beethovenhalle einmal jährlich den Bundespresseball. Als Namensgeber für Straßen, Alleen und Gebäude hält der Rheinländer Beethoven immer noch den Rekord vor dem Rheinländer Adenauer. Er kommt im Adressbuch doppelt so oft vor, wie dieser. Als Denkmal steht er ohnehin seit 1845 auf dem Münsterplatz. Sitzend gab es ihn von 1938 bis 1949 am Alten Zoll (seit 1977 in der Rheinaue). Man findet ihn als knubbelige Skulptur von Markus Lüpertz seit 2014 wieder am Alten Zoll. Und als Figur des Konzeptkünstlers Otmar Hörl – einen Meter hoch und lächelnd – seit ein paar Jahren fast siebenhundert Mal in vielen Bonner Wohnungen und Schaufenstern.

Hartmut Palmer war seit den 1960er-Jahren Korrespondent von lokalen und überregionalen Zeitungen (u. a. Süddeutsche Zeitung und Spiegel) in Bonn und kennt das Bonner Regierungsviertel wie seine Westentasche.