Mathieu van Bellen Violine
Mathias Halvorsen Klavier
Anselm Bieber Untertitel
5.9.-3.10. 2024
Mathieu van Bellen Violine
Mathias Halvorsen Klavier
Anselm Bieber Untertitel
Richard Strauss (1864–1949)
»Salome«, reduzierte Version für Violine, Klavier und projizierte Texte
von Mathieu van Bellen und Mathias Halvorsen
Wenn man dem Geiger Mathieu van Bellen und dem Pianisten Mathias Halvorsen die Frage stellt, mit wie vielen Personen man eine Oper aufführen kann, lautet die Antwort vermutlich: zwei.
Wie bitte – zwei? Ganz genau. Nämlich mit einem Violinisten und einem Pianisten. Mathias und Mathieu wissen, wovon sie reden; immerhin ist Richard Strauss’ »Salome« bereits die dritte Oper (nach Giacomo Puccinis »La Bohème« und »Tosca«), die sie selbst für zwei Instrumente arrangiert und aufgeführt haben. Der Gedanke dahinter: Musik und Geschichte ohne Substanzverlust auf das Wesentliche zu reduzieren und dem Publikum so eine neue Perspektive auf das Werk zu eröffnen. Keine Darsteller:innen, kein Bühnenbild und kein Kostüm geben eine Interpretation vor – die Handlung entfaltet sich allein in den Köpfen des Publikums. Ein spannendes musikalisches Experiment!
»Die auftretenden Leute sind alle pervers, und – nach meinem Geschmack – der perverseste ist – der Jochanaan.«
– Richard Strauss über »Salome«
Ein Fest im Palast des Herodes. Prinzessin Salome flieht aus der bedrückenden Atmosphäre des Festsaals, in dem religiöse Debatten die Stimmung aufheizen und ihr Stiefvater Herodes sie lüstern beäugt. Von der Terrasse aus hört sie die Stimme des eingekerkerten Propheten Jochanaan und bezirzt den in sie verliebten Hauptmann der Wache, ihn zu ihr führen zu lassen. Salome ist fasziniert von Jochanaan, der so völlig anders ist als die Menschen in ihrem Umfeld. Immer leidenschaftlicher versucht sie, sich ihm zu nähern und verlangt schließlich, ihn zu küssen. Jochanaan verflucht sie und kehrt in seine Zisterne zurück. Herodes und Salomes Mutter Herodias kommen nun ebenfalls auf die Terrasse. Herodes wird von düsteren Vorahnungen geplagt und bittet Salome, ihn mit einem Tanz abzulenken. Sie willigt ein, unter der Bedingung, dass er ihr als Gegenleistung einen Wunsch erfüllt. Nach ihrem berühmten »Tanz der sieben Schleier« verlangt sie ihren Lohn: den Kopf des Jochanaan. Herodes ist entsetzt, doch Salome akzeptiert keine Alternative, und so muss er nachgeben. Ekstatisch küsst sie den abgeschlagenen Kopf des Propheten. Herodes befiehlt, sie zu töten.
Zur ersten Klavierprobe mit Richard Strauss in Dresden trat das Ensemble der »Salome« mit dem Entschluss an, ihm etwas mitzuteilen: Sie wollten sich weigern, die Oper aufzuführen. Nur der Tenor Karel Burian (Herodes) scherte aus: Er verkündete, er könne seine Partie – vermutlich die schwerste von allen! – schon auswendig und beschämte damit seine Kolleg:innen. Die Produktion war gerettet.
Kaum etwas zerstört gesellschaftlichen und menschlichen Zusammenhalt so schnell wie die Angst. Richard Strauss’ Oper »Salome« ist geradezu ein Lehrstück über dieses Phänomen. Oder sie wäre es, wenn ein trockener Begriff wie ›Lehrstück‹ der grandiosen, schillernden Dramatik des Werks auch nur ansatzweise gerecht werden würde.
Doch von vorn: Die Oper spielt in einer Zeit massiver gesellschaftlicher Verunsicherung. Die Menschen, allen voran der Prophet Jochanaan (Johannes der Täufer), erwarten die Ankunft des Messias. Da heißt es natürlich die Seele auf Hochglanz polieren, untadelige Moral ist das Gebot der Stunde. Pech für Herrscher Herodes, der seine Ehefrau verstieß, um stattdessen seine – ebenfalls verheiratete – Schwägerin Herodias zu heiraten. Ein doppelter Ehebrecher an der Staatsspitze: ein gefundenes Fressen für Jochanaan, der keine Gelegenheit verstreichen lässt, das Herrscherpaar anzuprangern. Die Strafe folgt auf dem Fuße – Herodes lässt den Störenfried verhaften und in eine Zisterne im Palasthof sperren. Zum Glück ist Jochanaan als Berufs-Asket (laut Bibel ernährte er sich ausschließlich von wildem Honig und Heuschrecken) hart im Nehmen und predigt unbekümmert weiter; immerhin sieht er sich moralisch im Recht. Bei Herodes und Herodias hingegen liegen bald die Nerven blank. Statt Berichten über die fanatischen Predigten des Jochanaan hören sie selbige jetzt live und in Farbe – tagein, tagaus im eigenen Palast. Aber ihn hinrichten lassen? Undenkbar für Herodes, immerhin ist der Prophet ein heiliger Mann. Schuld an seinem Tod zu tragen wäre politisch heikel – vom Seelenheil (siehe oben) ganz zu schweigen.
Und dann ist da noch Salome, Herodias’ Tochter aus erster Ehe, fünfzehn Jahre alt und offenbar über die Maßen attraktiv – zumindest hat sie sowohl Narraboth, dem Hauptmann der Wache, den Kopf verdreht als auch ihrem Stiefvater. Nicht, dass sie Wert auf die Aufmerksamkeiten der beiden legen würde: Das Schmachten des Narraboth lässt sie kalt; vor den lüsternen Blicken des Herodes graust ihr. Instinktiv spürt sie, dass beide nur ihre äußere Schönheit sehen. Auf die Zuneigung ihrer Mutter darf Salome ebenfalls nicht hoffen; Herodias betrachtet sie als Konkurrentin um die Aufmerksamkeit ihres Mannes. Kein Wunder, dass sie zu Beginn der Oper aus dem Palast ins Freie flüchtet. Und ebenfalls kein Wunder, dass Jochanaan sie fasziniert: der Mann, vor dem Herodes Angst hat. Der Mann, der schlecht über ihre Mutter spricht – und immer noch lebt. Was für eine Macht hat er? Was wird er über sie sagen? Sie muss ihn sehen!
Juliane Weigel-Krämer: Lieber Mathieu, Du und Mathias, Ihr seid ja jetzt Spezialisten für die Oper: Was haltet Ihr von Salome, der Person? Manche sagen ja, sie sei ein richtiges Monster – andere sehen das anders. Wie geht es Euch?
Mathieu van Bellen: (lacht) Oh, darüber haben wir viel diskutiert. Wir sind nicht immer einer Meinung, und unsere Meinung ändert sich auch immer wieder. Der letzte Stand ist, dass wir Salome als Person eigentlich ziemlich normal finden. Vielleicht sagen wir im September auch schon wieder das genaue Gegenteil. [Das Interview fand im Juni statt.] Der Einfluss ihrer Mutter und ihres Stiefvaters ist natürlich fürchterlich. […] Momentan würde ich sagen, Salome ist ein Opfer der Umstände.
1903 machte sich Richard Strauss ernsthaft an die Komposition der »Salome«. Dabei steht der prosaische Ort, an dem er mit der Arbeit begann, in kuriosem Kontrast zur monumentalen Dramatik des Werks: In seinem Urlaubsquartier in Marquartstein komponierte Strauss in einer Bügelkammer – als Schreibtisch verwendete er ein Bügelbrett.
»Wo ist er, dessen Sündenbecher jetzt voll ist?«, mit diesen Worten betritt Jochanaan die Bühne. Feierliche Akkorde begleiten seinen Gesang – eine Musik, die den flirrenden, schwirrenden Klängen der höfischen Atmosphäre ferner nicht sein könnte. Salome ist wie betäubt: »In seinen Anblick versunken«, so die Regieanweisung, »weicht [sie] langsam vor ihm zurück.« Und möglicherweise spürt auch der Prophet bei dieser Begegnung mehr als ihm lieb ist: »Ich weiß nicht, wer sie ist. Ich will nicht wissen, wer sie ist. Heißt sie gehen. Zu ihr will ich nicht sprechen«, erklärt er, bevor er auch nur ein Wort mit Salome gewechselt hat. Doch damit lässt die sich nicht abspeisen; entschlossen nennt sie ihren Namen. Eine Kriegserklärung, eine Liebeserklärung – oder beides?
MvB: Mathias ist der Meinung, Jochanaan sei der verrückteste unter allen Personen in der Oper.
JWK: In etwas anderen Worten sagt das ja auch Richard Strauss. Wie kommt das?
MvB: Jochanaan ist innerlich komplett festgefahren. Seine Prophezeiung erlaubt ihm nicht, sein Denken auf irgendeine Weise zu verändern.
So oder so kochen die Emotionen schnell hoch bei dieser Begegnung. Salome sehnt sich verzweifelt danach, von Jochanaan gesehen zu werden – endlich soll jemand den Menschen Salome lieben, nicht nur ihren Körper. Doch ihr fehlen die Worte, um diesen Wunsch auszudrücken. Sie kennt Liebe nur auf der Ebene des Körpers und so spricht sie auch mit Jochanaan: Seinen Leib, sein Haar will sie berühren, seinen Mund will sie küssen. Für ihn sind das die Versuchungen der Hölle. Salome sieht seine Liebe als letzte Rettung; Jochanaan fürchtet die Verdammnis, wenn er diese Nähe zulässt. Für beide eine Situation existenzieller Not, die sie blind macht für die Not des anderen. Wieder verhindert Angst die Chance auf menschliche Nähe – mit einem dreifachen »Du bist verflucht« tritt Jochanaan den Rückzug in seine Zisterne an.
In dem vierminütigen, rein instrumentalen Zwischenspiel, das nun folgt, überschlagen sich die Motive von Salomes Liebe und Sehnsucht geradezu: Ihre letzte Hoffnung, vielleicht ihre Seele, stirbt hier einen qualvollen Tod. Nach einem Moment spannungsvoller Starre erklingt schließlich ein neues Motiv. Später wird Salome dazu singen, »Ich fordere den Kopf des Jochanaan«. Seine Seele für ihre. Sein Schicksal ist schon hier, nach nicht einmal der Hälfte der Oper, besiegelt.
MvB: Das Großartige an der Oper ist, dass in den Momenten, in denen die Musik am schönsten ist, die schlimmsten Dinge passieren.
JWK: Hast du dafür ein Beispiel?
MvB: Zum Beispiel der Moment, in dem Salome Jochanaan küsst – das gehört zum Schönsten, das je geschrieben wurde.
An keiner Stelle der Oper verwebt Strauss das Schöne und das Schreckliche derart dicht miteinander wie in Salomes hochdramatischem Schlussgesang. Die Eindringlichkeit, mit der er das Gefühlsleben der Prinzessin in Töne fasst, täuscht beinahe darüber hinweg, dass hier eine Frau mit dem abgeschlagenen Kopf eines Mannes spricht. Kurz bevor sie sich endlich den brennenden Wunsch erfüllt, Jochanaan zu küssen, spricht Salome die Worte aus, die vielleicht am meisten unter die Haut gehen: »Ach, warum sahst du mich nicht an? Hättest du mich angesehen, du hättest mich geliebt.« Eine Welt vergeudeter Chancen liegt in diesen Sätzen.
Dem grausigen Bild zum Trotz verströmt sich die Musik nach Salomes letztem, jubelnden »Ich habe ihn geküsst, deinen Mund!« in betörender Schönheit. Beinahe scheint sie auf einen Isolde’schen Liebestod zuzusteuern, da bricht die Realität sich Bahn. Angewidert – und vielleicht auch in der Hoffnung, seine Mitschuld an Jochanaans Tod in den Augen der Welt wiedergutzumachen – befiehlt Herodes Salomes Tod. Das letzte Wort hat wieder – die Angst.
MvB: Das Stück hat eine sehr wichtige, sehr starke Botschaft.
JWK: Welche ist das für euch?
MvB: Es gibt natürlich viele. Die erste, die mir jetzt in den Sinn kommt ist Verantwortung. Verantwortung für die Kinder, die man in die Welt bringt. Und dann die Suche nach Liebe, die Salome offensichtlich nicht von ihren Eltern bekommen hat.
Text und Interview: Juliane Weigel-Krämer
Mathieu van Bellen wurde in den Niederlanden geboren und begann sein Violinstudium in Belgien bei Nico Baltussen. Er setzte sein Studium bei Jan Repko fort, zunächst am Amsterdamer Konservatorium und an der Chethams School of Music in Manchester, wofür er ein Stipendium der VandenEnde-Stiftung erhielt. Anschließend studierte er am Royal College of Music in London bei Itzhak Rashkovsky und an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin bei Ulf Wallin.
Van Bellen ist Preisträger des Yehudi-Menuhin-Wettbewerbs, des Wieniawski-Wettbewerbs, des Prinses-Christina-Wettbewerbs und des Oskar-Back-Wettbewerbs. Er hat in Europa, Asien und den USA konzertiert und ist bei großen Musikfestivals in ganz Europa aufgetreten. Er trat mehrfach in Fernseh- und Radiosendungen auf und konzertierte in Sälen wie dem Purcell Room des Southbank Centre, der Royal Festival Hall London, dem Concertgebouw Amsterdam, dem Tel Aviv Opera House und dem Megaron in Athen, wo er mit Orchestern wie dem Belgischen Nationalorchester, dem Gelders Orkest und der Camerata Athena spielte.
Als Geiger des Busch Trios ist Mathieu ein aktiver Kammermusiker, der bereits mit Künstler:innen wie Shlomo Mintz, Michael Collins und Bruno Giuranna Kammermusikkonzerte gespielt hat.
Der Pianist Mathias Halvorsen aus Reykjavik tritt regelmäßig in ganz Europa auf. Seine Aktivitäten reichen von Kammermusik und Solokonzerten bis hin zu Kompositionen und verschiedenen Projekten, die klassisches Repertoire neu konzipieren. Halvorsen studierte bei Jiri Hlinka in Oslo und bei Gerald Fauth in Leipzig.
Seit 2010 gibt er als Gründungsmitglied der von der Kritik hochgelobten Gruppe LightsOut Konzerte in völliger Dunkelheit. Seit April 2019 tourt er mit dem Geiger Mathieu van Bellen in neuen Produktionen von Puccinis »La Bohème« und »Tosca«, die nur mit Geige, Klavier und Untertiteln besetzt sind. Das Arrangement wurde von den Musikern selbst erstellt, wobei die Rollen der Solisten, des Chors und des Orchesters für nur zwei Musiker adaptiert wurden. Ihr neuestes Projekt »Salome« (Richard Strauss) wurde beim PODIUM Festival Esslingen uraufgeführt. »La Bohème« wurde für Backlash Music auf CD aufgenommen und erhielt großartige Kritiken in vielen wichtigen Medien.
Matthias Halvorsen arbeitet an einer Gesamtaufnahme von Bachs »Wohltemperiertem Klavier« auf präparierten Klavieren. Die erste Folge wurde im November 2018 bei Backlash Music als »The Well-Prepared Piano, vol. 1« veröffentlicht.
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Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Noomi J. Bacher
Die Texte von Juliane Weigel-Krämer sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.