Jerusalem Quartet
Alexander Pavlovsky Violine
Sergei Bresler Violine
Ori Kam Viola
Kyril Zlotnikov Violoncello
(Beethovenfest Residenz)
28.8.– 27.9. 2025

Jerusalem Quartet
Alexander Pavlovsky Violine
Sergei Bresler Violine
Ori Kam Viola
Kyril Zlotnikov Violoncello
(Beethovenfest Residenz)
Dmitri Schostakowitsch (1906–1975)
Streichquartett Nr. 3 F-Dur op. 73
I. Allegretto
II. Moderato con moto
III. Allegro non troppo
IV. Adagio
V. Moderato
Pause
Streichquartett Nr. 13 b-Moll op. 138
Adagio
Streichquartett Nr. 14 Fis-Dur op. 142
I. Allegretto
II. Adagio
III. Allegretto
»Das Quartett ist eine der schwierigsten musikalischen Gattungen«, postulierte Dmitri Schostakowitsch einmal. »Musik ist stark durch den Gedanken, die Idee. Im Streichquartett muss der Gedanke tief und die Idee rein sein.«
Erst im Alter von 32 Jahren – fünf Sinfonien hatte er schon veröffentlicht – fühlte er sich imstande, diesem selbst formulierten Anspruch gerecht zu werden. Insgesamt 15 Quartette schrieb er bis zum Ende seines Lebens, genauso viele wie Sinfonien. Keine Tonart kommt zweimal vor, denn er hatte geplant, ein Quartett in jeder Tonart zu schreiben, quasi das »Wohltemperierte Streichquartett«.
In den intimen Werken verbirgt sich ein weit gespannter Kosmos, der Schostakowitschs vielschichtige Persönlichkeit sehr viel klarer widerspiegelt als seine Sinfonien – die hatten den engen ideologischen und ästhetischen Leitplanken des ›Sozialistischen Realismus‹ zu folgen. Es ist kein Zufall, dass er sich dem Schreiben von Quartetten in der Zeit zuwandte, als er vom Stalin-Regime am meisten unter Druck gesetzt wurde.
Nachdem seine eigene Schwester und ihr Mann von der mörderischen Geheimpolizei abgeholt worden waren, wusste er um den Ernst der Lage und schlief stets voll bekleidet, mit gepacktem Koffer unter dem Bett. Wie persönlich seine Streichquartette sind, zeigt etwa das achte, das fast vollständig auf der Vertonung seiner Initialen D-Es-C-H aufbaut.
Beim Komponieren von Quartetten orientierte sich Schostakowitsch an Ludwig van Beethoven, insbesondere an dessen späten Quartetten. Gemein ist ihnen der schiere Umfang, die kleinteilige Arbeit mit Motiven sowie die Mischung aus formaler Logik und rhapsodischer Freiheit. Zudem verwenden beide oft eine ungewöhnliche Anzahl von Sätzen oder lösen die Aufteilung in Einzelsätze durch nahtlose Übergänge ganz auf. Passenderweise wurden auch fast alle von Schostakowitschs Streichquartetten von einem Ensemble uraufgeführt, das den Namen »Beethoven-Quartett« trug.
Für eine heutige Gesamtaufführung könnte man sich keine berufeneren Interpreten vorstellen als die Musiker vom Jerusalem Quartet: Drei von ihnen wuchsen selbst in der Sowjetunion auf und können Schostakowitschs biografischen Hintergrund gut nachvollziehen. Und so konstatieren sie: »Schostakowitschs Quartette sind nicht nur einer der bedeutendsten Zyklen des 20. Jahrhunderts. Sie sind ein Teil der russischen Geschichte – und damit unseres Lebens.«


Wer genau hinhört, entdeckt in Schostakowitschs Musik immer wieder subversive Botschaften, die er erfolgreich an Stalins Kulturkommissariat vorbeischmuggelte. So auch im dritten Streichquartett: Im Moderato an zweiter Stelle skandiert die Bratsche mit militärischer Sturheit einen e-Moll-Dreiklang. Die erste Violine steuert dazu ein Thema bei, das zu jeder Tonart passen könnte, nur nicht zu e-Moll. In der Folge geistern spitze Springbögen, sämige Glissandi (d. h. gleitende Tonhöhenwechsel), hohle Flageolett-Klänge und gedämpfte Abschnitte durch die Partitur. Noch grotesker wirkt der dritte Satz, offenbar eine Parodie auf einen Militärmarsch im Stechschritt, der im Mittelteil allerdings in eine gezupfte Polka übergeht. Nur vor diesem Hintergrund ist zu erklären, warum Schostakowitsch am Ende des todbringenden Zweiten Weltkriegs eine so charmant daherhüpfende Musik komponieren konnte wie im ersten Satz. Es scheint sich um reine Ironie zu handeln.
Die beiden anderen Werke des Abends setzen die Reihe der Widmungen für das Beethoven-Quartett fort. Das 13. Quartett war ein Geschenk zum 70. Geburtstag des bereits im Ruhestand befindlichen Bratschers Wadim Borisowski; Schostakowitsch ehrte ihn mit einem stark hervorgehobenen Viola-Part. Musikalisch aber herrschen Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit vor, die Musik steht an der Grenze zur Atonalität. Nur der Mittelteil kommt erstaunlich ›jazzy‹ daher.
Schließlich bekam auch das letzte Gründungsmitglied des Beethoven-Quartetts, der Cellist Sergej Schirinski, ›sein‹ Streichquartett (Nr. 14). Dessen Tonfall ist ähnlich heiter wie die 15. Sinfonie, nur der zweite Satz hat einen melancholischen, nachdenklichen Charakter. Im letzten Satz zitiert Schostakowitsch die Arie »Serjoscha, mein Liebster« (die Koseform von Sergej) aus seiner Oper »Lady Macbeth von Mzensk«.
Clemens Matuschek

Welche Bedeutung hat Schostakowitschs Quartettzyklus?
Jerusalem Quartet: Es ist der größte Zyklus für Streichquartett, der im 20. Jahrhundert geschrieben wurde – und der persönlichste. Für den Komponisten sind die Quartette wie sein Tagebuch. Er hat seine intimsten Ideen dort eingebracht. Außerdem sind die Werke seinen Familienmitgliedern oder seinen engsten Freunden und Kollegen gewidmet. Alles in allem ist der Zyklus ein Spiegel der Sowjetunion: Er umfasst 50 Jahre Geschichte von den 1930er- bis zu den 1970er-Jahren.
Wie nähern wir uns heute dieser Musik?
Für uns ist es Musik, zu der die Verbindung leicht fällt. Sie ist voll mit ›ultra‹-Kontrasten: Es reicht von wunderschönen romantischen Melodien bis zu Stellen, an denen groteske und brutale Gefühle explodieren. Besonders tiefgründig wird der Zugang, wenn man, wie hier im Beethovenfest, die Gelegenheit hat, den ganzen Zyklus zu hören. So kann man völlig in Schostakowitschs Welt und seine Zeit eintauchen.
Gibt es eine klare Botschaft, die sich in den Stücken entziffern lässt?
Das erscheint uns sehr vielschichtig. Die Zuhörenden sollten sich darauf einstellen, von der Musik in die Irre geführt zu werden. Denn Schostakowitsch befand sich unter enormem Druck durch die Zensur des Regimes. Er konnte sich nicht völlig unverstellt in seinen Kompositionen ausdrücken, es ist nicht alles schwarz oder weiß. Oft scheint eine Melodie auf den ersten Blick fröhlich, aber im Kontext lässt sich darin ein großer Schmerz hören. Andererseits gibt es bedrohliche oder traurige Passagen, die aber tatsächlich auch Hoffnung in sich tragen. Wir raten allen, die Ohren zu spitzen und diese besonderen Momente zu suchen!
Für Sie persönlich: Welchen Ort hat Schostakowitschs Zyklus in Ihrem Musikerleben?
Drei von uns sind an verschiedenen Orten der ehemaligen Sowjetunion geboren, in der Ukraine und in Belarus. Schostakowitschs Werke waren ein zentraler Bestandteil der Musikausbildung dort. Wir alle haben bei Lehrer:innen studiert, die selbst noch mit Schostakowitsch zusammengearbeitet haben, zum Beispiel Violin-Professor Mattwei Liberman und Cello-Professor Michail Chomitser. Wir würden sagen: Schostakowitschs Musik ist in unserer DNA. Wir fühlen und verstehen sie. Es fühlt sich einfach natürlich an, sie zu spielen.

»Leidenschaft, Präzision, Wärme, eine Gold-Mischung: Das sind die Markenzeichen dieses exzellenten israelischen Streichquartetts.« – so die Einschätzung von The Times über das Jerusalem Quartet. Seit der Gründung des Ensembles im Jahr 1993 und seinem Debüt im Jahr 1995 haben die vier Musiker einen Reifeprozess durchlaufen, der ihnen heute erlaubt, auf ein breites Repertoire und eine entsprechende klangliche Tiefe zurückzugreifen, ohne dabei auf ihre Energie und ihre Neugier auf Unbekanntes zu verzichten. Wie kaum ein anderes Ensemble bewahrt das Jerusalem Quartet die lebendige Tradition des Streichquartetts. Sein Markenzeichen ist ein warmer, voller, beinahe menschlicher Klang und die Ausgewogenheit zwischen hohen und tiefen Stimmen.
Das Jerusalem Quartet ist regelmäßig zu Gast auf den großen Konzertbühnen der Welt. 2025 feiert das Quartett sein 30-jähriges Bestehen. Zur Feier dieses Jubiläums stellt es den Zyklus der 15 Quartette von Schostakowitsch in den Mittelpunkt und tritt in zehn Städten weltweit auf, darunter im Concertgebouw Amsterdam, beim Beethovenfest Bonn, in der Kölner Philharmonie, in Cleveland, in Portland, in der Wigmore Hall London, in St. Paul, in São Paulo, in Vevey und in der Tonhalle Zürich.
Wir – das Beethovenfest Bonn – laden ein, in einem offenen und respektvollen Miteinander Beethovenfeste zu feiern. Dafür wünschen wir uns Achtsamkeit im Umgang miteinander: vor, hinter und auf der Bühne.
Für möglicherweise auftretende Fälle von Grenzüberschreitung ist ein internes Awareness-Team ansprechbar für Publikum, Künstler:innen und Mitarbeiter:innen.
Wir sind erreichbar über eine Telefon-Hotline (+49 (0)228 2010321, im Festival täglich von 12–20 Uhr) oder per E-Mail (awareness@beethovenfest.de).
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Das Beethovenfest Bonn 2025 steht unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst.
Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Julia Grabe
Die Texte von Clemens Matuschek sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.