Vom 18.–23.9.2025 spielen sie sämtliche Streichquartette von Dmitri Schostakowitsch in fünf Konzerten in Bonn und Köln – das Jerusalem Quartet spricht über die erschütternd persönliche Musik des Sowjet-Komponisten.
Jerusalem Quartet
»Schostakowitsch ist Teil unserer Geschichte«
Welche Bedeutung hat Schostakowitschs Quartettzyklus?
Jerusalem Quartet: Es ist der größte Zyklus für Streichquartett, der im 20. Jahrhundert geschrieben wurde – und der persönlichste. Für den Komponisten sind die Quartette wie sein Tagebuch. Er hat seine intimsten Ideen dort eingebracht. Außerdem sind die Werke seinen Familienmitgliedern oder seinen engsten Freunden und Kollegen gewidmet. Alles in allem ist der Zyklus ein Spiegel der Sowjetunion: Er umfasst 50 Jahre Geschichte von den 1930er- bis zu den 1970er-Jahren.
Wie nähern wir uns heute dieser Musik?
Für uns ist es Musik, zu der die Verbindung leicht fällt. Sie ist voll mit ›ultra‹-Kontrasten: Es reicht von wunderschönen romantischen Melodien bis zu Stellen, an denen groteske und brutale Gefühle explodieren. Besonders tiefgründig wird der Zugang, wenn man, wie hier im Beethovenfest, die Gelegenheit hat, den ganzen Zyklus zu hören. So kann man völlig in Schostakowitschs Welt und seine Zeit eintauchen.
Gibt es eine klare Botschaft, die sich in den Stücken entziffern lässt?
Das erscheint uns sehr vielschichtig. Die Zuhörenden sollten sich darauf einstellen, von der Musik in die Irre geführt zu werden. Denn Schostakowitsch befand sich unter enormem Druck durch die Zensur des Regimes. Er konnte sich nicht völlig unverstellt in seinen Kompositionen ausdrücken, es ist nicht alles schwarz oder weiß. Oft scheint eine Melodie auf den ersten Blick fröhlich, aber im Kontext lässt sich darin ein großer Schmerz hören. Andererseits gibt es bedrohliche oder traurige Passagen, die aber tatsächlich auch Hoffnung in sich tragen. Wir raten allen, die Ohren zu spitzen und diese besonderen Momente zu suchen!
Für Sie persönlich: Welchen Ort hat Schostakowitschs Zyklus in Ihrem Musikerleben?
Drei von uns sind an verschiedenen Orten der ehemaligen Sowjetunion geboren, in der Ukraine und in Belarus. Schostakowitschs Werke waren ein zentraler Bestandteil der Musikausbildung dort. Wir alle haben bei Lehrer:innen studiert, die selbst noch mit Schostakowitsch zusammengearbeitet haben, zum Beispiel Violin-Professor Mattwei Liberman und Cello-Professor Michail Chomitser. Wir würden sagen: Schostakowitschs Musik ist in unserer DNA. Wir fühlen und verstehen sie. Es fühlt sich einfach natürlich an, sie zu spielen.