Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Caleb Borick Klavier
Lionel Bringuier Dirigent
5.9.-3.10. 2024
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Caleb Borick Klavier
Lionel Bringuier Dirigent
Louise Farrenc (1804–1875)
Konzertouvertüre Nr. 2 Es-Dur op. 24
Johannes Brahms (1833–1897)
Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 83
I. Allegro non troppo
II. Allegro appassionato
III. Andante
IV. Allegretto grazioso
Pause (ca. 25 Minuten)
Johannes Brahms
Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68
I. Un poco sostenuto – Allegro
II. Andante sostenuto
III. Un poco allegretto e grazioso
IV. Adagio – Allegro non troppo, ma con brio
Manch einem kommt die Musikgeschichte der vergangenen Jahrhunderte fast ›frauenlos‹ vor, wenn es um das Komponieren geht, die ›heroischste Aufgabe‹ im Rahmen der klingenden Künste. Falsch gedacht! Musikschaffende Frauen hat es immer gegeben, in allen Kulturzeitaltern, selbst vor dem Mittelalter, also vor der Zeit Hildegard von Bingens. Die schiere Existenz unzähliger – erst musizierender, bald musiknotierender – Frauen wird von wissenschaftlich seriöser Seite von niemandem mehr geleugnet und in den letzten Jahren auch zunehmend gewürdigt, durch: Aufführungen!
Eine der prominent wiederentdeckten Komponistinnen ist die Französin Louise Farrenc, die zu ihrer Zeit als Tonschöpferin äußerst erfolgreich war, aber nach ihrem Tod rasch vergessen wurde. Ganz anders als der zu Lebzeiten bereits verehrte Johannes Brahms, Kulinariker, Erringer sinfonischer Gipfel, bekennender Gegner der Ehe – und bis heute einer der großen Lieblinge im Konzertsaal.
Am 2. Dezember 1804 krönte sich Napoleon Bonaparte in der Kathedrale Notre-Dame de Paris selbst zum Kaiser Frankreichs. Bekanntlich überkritzelte der entrüstete Ludwig van Beethoven deshalb die Widmungszeile an Napoleon über seiner dritten Sinfonie, der »Eroica«. Im selben Jahr, ein paar Monate vor den genannten Ereignissen, wurde Louise in die Familie Dumont in Paris geboren, im Künstlerviertel an der Sorbonne. Es war der letzte Maitag 1804.
Louise Farrencs Eltern beschäftigten sich hauptberuflich mit Malerei – gute Voraussetzungen für eine frühe kulturelle Bildung ihrer Kinder. Im Alter von sechs Jahren erhielt Louise Klavier- und Solfeggio-Unterricht bei ihrer Patentante, die einst von Muzio Clementi ausgebildet worden war. Mit 15 Jahren folgten schließlich noch Unterweisungen im Fach Harmonielehre bei dem Pädagogen und Komponisten Anton Reicha. Dieser war eine Berühmtheit am Pariser Conservatoire, durfte aber Studentinnen nur privat unterrichten, da Frauen damals keinen Zugang zum Konservatorium hatten – beziehungsweise nur in ›Frauenfächern‹ (etwa Gesang oder Klavier) unterwiesen werden durften.
Jeanne-Louise Farrenc, geboren am 31. Mai 1804 in Paris als Tochter des Bildhauers Jacques-Edme Dumont und seiner Frau Marie Elisabeth Louise, wuchs in einer Künstlersiedlung auf dem Gelände der Sorbonne auf. Sie erhielt Unterricht in Komposition bei Anton Reicha und starb am 15. September 1875 in Paris im Alter von 71 Jahren. Zeitlebens betätigte sie sich – neben ihrem kompositorischen Schaffen – auch als Pianistin, Klavierpädagogin und Forscherin. In ihrer Zeit äußerst erfolgreich, geriet sie nach ihrem Tod zunächst in Vergessenheit. Die »Allgemeine musikalische Zeitung« schrieb 1846 über Farrenc, sie habe »geniale Compositionen« vorgelegt und auch »eine zweite große Symphonie vollendet«, die sehr erfolgreich lief, wobei sich »die Franzosen [...] nicht wenig darauf einbilden, neben ihrer berühmten [George] Sand auch eine Tonkünstlerin zu haben, die dieser an künstlerischem Werthe nicht nachsteht«.
1821 heiratete die 17-Jährige den Verleger und Flötisten Aristide Farrenc. Häufig endeten damals die Laufbahnen von Künstlerinnen mit dem Zeitpunkt der Heirat, doch in diesem Fall konnte Ferrancs Unterricht bei Reicha, den Farrenc seit 1819 wahrgenommen hatte, fortgesetzt werden. Sie wurde zu einer gefeierten Pianistin, die sich zunächst solistische Klavierwerke ›in die Finger‹ komponierte, um damit ihre Konzertprogramme anzureichern – eine damals völlig alltägliche Praxis unter Musiker:innen. 1842 übernahm Louise Farrenc eine Klavier-Professur am Pariser Konservatorium.
Schon von Beginn der 1840er-Jahre hatte Louise Farrenc an Werken für größere Besetzungen gearbeitet, stellte jedoch ihre kompositorischen Tätigkeiten gegen Ende der 1850er-Jahre ein. Trotzdem hinterließ sie weit mehr als drei Dutzend, häufig programmatisch betitelte Klavier-Solostücke, ein paar Lieder, drei Chorwerke, drei Sinfonien und Orchesterkompositionen wie die heute zu hörende Konzertouvertüre Nr. 2 Es-Dur op. 24. In den 1860er- und 1870er-Jahren veröffentlichte sie eine 23 Bände umfassende Anthologie von Musik für Tasteninstrumente des 16. bis 19. Jahrhunderts. Eine Reihe, die für eine Wiederbelebung dieser Musik in Frankreich führte.
Die Konzertouvertüre, ein Stück in Es-Dur, beginnt unerwartet in Moll! Sehr ernst, mit Vorschlagsschleifern – und nach einigen Momenten mit den charakteristischen Grundzügen einer nach Freiheit strebenden Aufbruchsmusik à la Beethoven ... Dann beginnt der flotte Teil, der ebenfalls immer wieder dramatische Moll-Töne zwischen die erregte Bewegung dieser profunden Musik haut.
Das zweite Klavierkonzert vollendete Johannes Brahms 1881: durchwirkte Kunst, motivisch-thematische Meisterleistung – und im Hintergrund die Zurücknahme oberflächlichen Spielwerks im Klaviersatz; im Grunde eine Sinfonie mit Solo-Klavier; keine Kompromisse – Brahms, der Radikale. Die Geschehnisse in Brahms’ Opus 83 bedeuten: Kein Thema, keine thematische Gestalt wird beim nächsten Mal Eins-zu-eins wiederholt. Brahms breitet sie aus, fächert sie auf, heizt sie an. Vor allem rhythmisch geraten einmal dagewesene Gedanken bald in Bewegung. Zuvor noch einfach gebaute Begleitstützen in (vermeintlichen) Nebenstimmen erscheinen nun fast aufgetürmt, rhythmisch zerlegt – und dabei agil, ja schlichtweg: interessanter!
»Das B-Dur-Konzert von Brahms ist ein einzigartiges Werk. Er nannte es in einem Brief trocken ›ein ganz kleines Klavierkonzert mit einem ganz kleinen zarten Scherzo‹, und tatsächlich ist das genaue Gegenteil der Fall. Die Orchestrierung ist gewaltig und entspricht im Wesentlichen dem, was er in seinen vier Sinfonien verlangt, das Konzert ist von fast beispielloser Länge und das Scherzo ist ein kolossal donnerndes Unterfangen. Durchweg hat es die reichen Texturen und die große Gefühlstiefe, die so viele Werke von Brahms im Allgemeinen auszeichnen.«
– Caleb Borick
Der Zusammenhang zwischen dem zweiten Klavierkonzert und der ersten Sinfonie c-Moll op. 68 ergibt sich fast wie von selbst. Diese brauchte gute zwei Jahrzehnte vom ersten Konzept (aus den frühen Skizzen wurden dann andere Werke) bis zur Fertigstellung. Und Brahms ließ sich vom ersten zum zweiten Klavierkonzert genauso lange Zeit; auch hier waren es 22 Jahre, die zwischen beiden Werken liegen. Das Narrativ von der großen Brahmsschen Anstrengung, nach Beethoven noch eine Sinfonie zu schreiben, die Schwierigkeit zu spüren, um im Folgenden eben fast ein Vierteljahrhundert für die Erste zu brauchen: Es stimmt, es wirkt – aber die Anekdoten um diese ›Story‹ herum sind natürlich auch ein wenig abgegriffen.
Interessanter ist vielmehr, noch einmal nachzulauschen, wie die Brahmssche Sinfonie-Anstrengung in dem Werk selbst anfänglich noch präsent ist. Wenn man möchte, dann kann man gleich die ersten Takte des ersten Satzes (Un poco sostenuto, etwas zurückgehalten) quasi als musikalische Umsetzung dieses ›Kampfs‹ mit Beethoven, mit der Tradition und mit sich selbst betrachten. Man hat schon gehört, dass ganze Musiktheorie-Seminare an deutschen Hochschulen über die Analyse dieser wahrhaftig harmonisch-fantastisch-komplexen Einleitung ein Semester lang nicht hinausgekommen sind, obwohl eigentlich die Betrachtung der ganzen Sinfonie im Vorlesungsverzeichnis angekündigt worden war
Johannes Brahms, geboren am 7. Mai 1833 in Hamburg als Sohn eines Kontrabassisten und Hornisten. Freund von Clara und Robert Schumann, erfolgreicher Norddeutschland-Import in Wien, Schöpfer von zahlreichen Klavierwerken, Liedern – und von vier »schwer erarbeiteten« Sinfonien; bekannt durch seine kontrapunktisch durchflochtenen und dennoch so innigen, emotionalen Werke, die für viele bis heute eine perfekte ›Mitte‹ von Intellekt und Gefühl bilden. Ein Liebling des Publikums – und der Musiker:innen. Verstorben am 3. April 1897 im Alter von 63 Jahren in Wien.
Zu den Harmonien der Introduktion ertönt sinnigerweise auf jedem Schlag schwerlastend die Pauke: Hier passiert etwas Besonderes, etwas, das schon im Vorhinein – um überhaupt formuliert zu werden – viel Kraft gekostet hat. Trotzdem, Brahms biedert sich nicht an, im Gegenteil, er begegnet der Tradition mit geistreichem Hintersinn, wenn er den letzten Takt der Einleitung mit einem zusätzlichen Schlag ›künstlich verlängert‹. Es eröffnet sich eine originelle und auch eigenartige sinfonische Welt, die uns Zuhörende freundlich, aber mit ernster Geste einlädt, den melodischen Linien, den diversen Stimmen und harmonischen Verläufen aufmerksam zu folgen. Beschenkt wird man freilich die ganze Zeit – im C-Dur-Teil des Finales schließlich mit hymnischen Anklängen; Frieden, Segen, Hände reichen. Es kann so einfach sein.
Text: Arno Lücker
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Programmheftredaktion:
Sarah Avischag Müller
Noomi J. Bacher
Lektorat:
Heidi Rogge
Die Texte von Arno Lücker sind Originalbeiträge für dieses Programmheft.