Zum 200-Jahre-Jubiläum der Neunten Beethovens dirigiert Tan Dun sein neues »Choral Concerto: Nine« – eine Hommage an Beethovens epochale Sinfonie. Wir haben den chinesischen Komponisten und Dirigenten zum neuen Werk befragt.
1. Wie hast Du den Text für Dein neues Stück »Choral Concerto: Nine« ausgewählt?
Ich habe für mein Libretto verschiedene Dichter aus verschiedenen Kulturen und unterschiedlichen Zeitpunkten der Geschichte herangezogen. Zunächst habe ich Poesie von Qu Yuan verwendet, vielleicht eine der frühesten rituellen Opern von vor 2.400 Jahren, bei der die Musik verloren gegangen ist, aber die Worte erhalten geblieben sind. Ich versuche, die Musik dieser alten Poesie neu zu imaginieren und das Verschwundene wieder aufleben zu lassen.
Ein anderer Dichter, an den ich mich gewandt habe, ist Li Bai, der 1.300 Jahre alt ist. Er schreibt so schön über die Natur – er beschreibt die Nähe des Mondes inmitten der Schatten. Mensch und Natur haben eine tiefe Verbindung, und das hat mich schon immer fasziniert. Ich verwende auch einige Worte von Friedrich Schiller und zitiere Beethovens berühmte »Ode an die Freude«.
2. Welche Verbindungen oder Ähnlichkeiten gibt es zwischen »Choral Concerto: Nine« und Beethovens neunter Symphonie?
Schiller verkündet zu Beginn der »Ode an die Freude«, dass alle Menschen Geschwister sind und alle Geschöpfe miteinander auf dieser einen Welt sind. Auch die chinesischen Philosophen Lao Zi und Zhuang Zi, die vor 2.500 Jahren lebten, sagten und empfanden dasselbe. Es gibt also eine tiefe Verbindung zwischen diesen beiden Welten.
3. Welchen Klang erwartest Du vom Chor, besonders wenn er nicht auf Englisch singt?
Vieles von dem, was der Chor singt und rezitiert, sind eigentlich leere Worte. Einige stammen aus taoistischen und buddhistischen Traditionen, andere sind einfach nur unsinnige Worte. ›Leer‹ bedeutet alles. Nichts existiert auf Dauer. Daher finde ich es sehr interessant, die ›Leere‹ als Symbol für ›alles‹ zu verwenden. Nur Stille kann den formlosen Raum füllen und zum größten Klang hinzutreten. Deshalb dachte ich, dass die Verwendung leerer Worte eine interessante Parallele zu Beethoven sein könnte. Vielleicht ist das der einzige Weg, denn Beethoven ist so riesig, so groß.
4. Die drei Sätze deines Stücks tragen die Titel »Neun«, »Wein« und »Zeit« – worauf beziehen sich diese Titel?
Diese drei Wörter lauten auf Chinesisch »Jiu«, »Jiu«, »Jiu«. Alle drei werden gleich ausgesprochen. Diese drei Wörter sind auf so interessante Weise miteinander verbunden ... mein Stück versucht, die Klänge der Natur, des Geistes und der Zeit zu verbinden, um ewigen Frieden zu schaffen.
5. Gibt es Instrumente in der Partitur, die nicht Teil des konventionellen westlichen Orchesters sind?
Ich wollte genau die gleiche Instrumentierung verwenden, die Beethoven vor 200 Jahren benutzt hat. Ich wollte mich selbst testen: Wenn ich die gleiche Instrumentierung wie Beethoven verwende, was kann ich dann tun und was kann ich sagen? Ich finde das sehr interessant: Beethoven hat das gleiche Instrumentarium verwendet wie Mozart und Monteverdi, und ich verwende das gleiche wie Strawinsky oder Debussy, aber was erschaffen wir damit? Wir haben vielleicht die gleiche Instrumentierung, aber wir erschaffen eine andere Welt, weil wir aus unterschiedlichen Traditionen kommen, unterschiedliche Sprachen sprechen und unterschiedliche Geschichten haben. Aber unter dieser Oberfläche sind wir gleich, wir kommen aus der gleichen Struktur. Die gleiche Instrumentierung zu verwenden, wie sie Beethoven vor 200 Jahren verwendet hat, ist für mich spirituell viel bedeutsamer.
Aufführungen von Tan Duns »Choral Concerto: Nine«
, Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Berlin
Sonderkonzert Berlin: Beethoven 9
Bundesjugendorchester, World Youth Choir, Jörn Hinnerk Andresen
Dun, Beethoven