Während der ersten Festivalwoche beim Beethovenfest 2022 fand hinter den Kulissen ein außergewöhnlicher Workshop statt. Zwei Dokumentarfilmer:innen und eine Diversitätstrainerin arbeiteten mit einer Gruppe Studierender vier Tage lang am Handwerkszeug des Dokumentarfilmens. Gegenstand der gemeinsam erarbeiteten Dokumentation war das Konzertprojekt »Eastman c/o Villa Hammerschmidt«. Das Ergebnis des Workshops wird nun erstmals präsentiert: Der Dokumentarfilm »Im Interview« hält die filmische Arbeit des Workshops fest.
Dokumentarfilm von Workshopteilnehmer:innen zu Komponist Julius Eastman
Die Welt durch die Kameralinse betrachtet

Die Teilnehmer:innen des Workshops richteten ihre Kamera nicht nur auf die Musiker:innen des Konzertprojekts, sondern auch auf sich selbst und ihre Perspektiven auf die Musik und ihre eigene Position als unterschiedlich von Rassismus betroffene Filmer:innen.
Schon das Konzert, das im Mittelpunkt der Dokumentarfilmproduktion stehen sollte, war eines der außergewöhnlichsten Formate beim Beethovenfest. Vier Pianist:innen bespielten vier verschiedene Räume im Zweitsitz des Bundespräsidenten, der repräsentativen Villa Hammerschmidt, mit Musik des schwarzen und queeren US-Amerikanischen Komponisten Julius Eastman aus den 1970er Jahren.
»Ich kannte Eastman vorher nicht. Ich habe ein bisschen was von seiner Musik gehört, es ist auf jeden Fall sehr sehr interessant. Ich werde ihn zu meiner Playlist hinzufügen.« –Soudabeh Samiel, Studierende & Workshopteilnehmerin
Musik, die in ihrer repetitiven Aggressivität aus dem Minimal-Stil kommt. Die Titel »Gay Guerilla« und »Evil N...« transportieren die Unangepasstheit und Irritation, mit der Komponist Eastman Zeit seines Lebens in der Avantgarde-Szene New Yorks provozierte.
Die Konfrontation von Avantgarde und Macht war auch zentraler Leitgedanke des Konzepts der vier Pianist:innen um Kai Schumacher. Beethovenfest-Intendant Steven Walter entwickelte die Idee, die Musik Eastmans nicht als Fremdkörper in die Villa Hammerschmidt zu versetzen, sondern mit dem Aufbau von vier Klavieren in vier Räumen eine räumliche Irritation von Perspektive und Zusammenhang zu erzeugen. Kai Schumacher griff diesen Gedanken auf:
»Ich finde es immer spannend, wenn der Inhalt des Konzerts die Räumlichkeit so ein bisschen aufbricht. Wenn du die Leute mit etwas konfrontierst was sie nicht erwarten.« –Kai Schumacher, Pianist
Der Workshop nahm es sich zum Anlass, nicht nur im Interview mit Pianist Kai Schumacher nach den künstlerischen Zielen, der Probenarbeit und der Räumlichkeit bei diesem Wandelkonzert zu fragen. Die Studierenden stellten auch die Frage, wie sich Eastman gegen Rassismus und Sexismus wendet und welche Positionierungen daraus folgen: in der Wiedergabe seiner Musik, in diesem speziellen Konzertprojekt und auch in der Welt der Klassischen Musik im Allgemeinen. Auch die eigene Position der Studierenden mit unterschiedlichen Herkünften und Umgangsweisen mit eigener Betroffenheit floss in die Interviewführung ein.
»Ich habe extrem viel gelernt, auch wenn ich in dem Thema sehr belesen bin, weil ich zum erstem Mal einen Diskursraum hatte und nicht so einen Betroffenenraum, oder nur einen akademischen Raum.« –Pia Rodriguez, Studierende & Workshopteilnehmerin
Entstanden ist ein nachdenkliches filmisches Porträt, das immer wieder auf die eigene Verfahrensweise zurückzeigt, und ein hochinteressanter Einblick in die Reflexion der jungen Menschen, die durch das Konzertprojekt »Eastman c/o Villa Hammerschmidt« ausgelöst wurde.
Der Workshop wurde im Rahmen des Beethovenfestes durchgeführt. Dozent:innen waren Dokumentarfilmer:innen Miriam Jakobs, und Gerhard Schick und Agentin für Awareness/Diversität/Empowerment Michelle Bray. Die Studierenden und Filmautor:innen sind Max Förster, Elizaveta Kapustkina, Jonas Meyer, Johannes Olmesdahl, Pia Rodriguez, Soudabeh Samiel, Leonie Scholten, Finn Settelmeyer und Evren Soysuz.